Aktualisiert: 7.10.2024; 06.00 Uhr

Otto-Marktplatzhändler: Jetzt fehlen nur noch 332

von Joachim Graf

07.10.2024 Wie viele Marktplatzhändler sind auf Otto.de wirklich aktiv? Ein Crawler zählt immerhin 13 Prozent weniger Shops als Otto kommuniziert. Wir protokollieren unsere Suche nach den verschwundenen Händlern und erzählen über große Löcher, religiöse Glaubensbekenntnisse und tanzende Eier.

Zahl der Marktplatzhändler auf Otto.market nach Otto-Angaben und laut Crawler
Das tagesaktuelle Protokoll:

Donnerstag, 19.9.2024, 12.00 Uhr:
Mark Steier hat ein großes Loch entdeckt. Er ist Inhaber des Blogs Wortfilter   und Betreiber von Crawlern, die Händleradressen aus Marktplätzen wie Amazon und Ebay sammeln, die er dann anschließend zur Nutzung vermarktet. Steiers Crawler hat eine Auswertung für den Marktplatz Otto.market   der Otto Group   durchgeführt. Und sagt: "Es fehlen 1.178 Seller". Diese Aussage könne er anhand gelöschter Händler-URLs belegen, was das Handelsblatt   zur Aussage brachte, Otto hätte tausend Händler verloren.


Freitag, 20.9.2024, 8.21 Uhr:
Neuhandeln legt Otto eine Reihe von Fragen vor, darunter zur Zahl der Händler, Kündigungen und Retourenquote.


Freitag, 20.9.2024, 14.54 Uhr:
Otto meldet sich und nennt uns die Zahlen, die laut Aussage das Marktplatz-Team ausgelesen habe. Die Aussagen von Steier und dem Handelsblatt seien "schlichtweg falsch". Otto legt neuhandeln.de Zahlen aus der eigenen Marktplatzabteilung vor. Danach waren vor einem Jahr - am 22.9.2023 - insgesamt 6.284 Händler auf Otto.de   gewesen. Zum Jahreswechsel - am 5.1.2024 - waren es demnach 6.584 Händler und aktuell - Stand 22.9.2024 - sind es 6.464. Insgesamt hätten seit 5. Januar 1.423 Händler selber gekündigt, 160 Händlern hätte Otto gekündigt, weitere 40 Händler kündigte der Paymentdienstleister, der das Marktplatzgeschäft abwickelt. In derselben Zeit hätten 1.303 einen neuen Vertrag abgeschlossen. Diese Zahlen bezögen sich auf aktive Händler (Otto-Sprech: "verkaufsfähige Partner") auf der Plattform, die dort also mindesten mit einer SKU ("Stock Keeping Unit") registriert wären - also mindestens ein Produkt anbieten würden.


Freitag, 20.9.2024, 17.45 Uhr:
Neuhandeln veröffentlicht die Otto-Angaben (Otto-Marktplatz: "Wir haben binnen eines Jahres Händler dazugewonnen"   ), stellt aber die Angaben von Mark Steier daneben.


Freitag, 20.9.2024, 16.54 Uhr:
Wir erhalten einen kompletten Crawler-Datensatz und können ihn prüfen. Er enthält 6.834 Händler. Davon sind 1.178 als gelöscht markiert: Wenn man eine URL mit einer Händler-ID aufruft, erhält man einen 404-Error. Der Händler ist auf dem Marktplatz also nicht mehr gelistet. Anders als bei allen anderen Marktplatzhändlern, bei denen sich mit der entsprechenden URL ein Marktplatzeintrag öffnet.

Otto.de selbst hat die ID 1000000   , von dort wird einfach aufwärts gezählt und wie bei einer Perlenkette jeder neue Marktplatzhändler hinten angehängt. Wenn ein Händler gelöscht wird - weil er gekündigt ist - wird die Perle entfernt, die Nummern aber nicht mehr neu vergeben.


Freitag, 20.9.2024, 17.45 Uhr:
Wir fragen deshalb nochmal nach: "Mir liegt inzwischen eine Auswertung sämtlicher Händler des Otto-Marktplatzes vor. Insgesamt 5.641 aktive Händler und 1.178 gelöschte. Kann es sein, dass Sie knapp 1.200 Händler als aktiv führen, die es nicht mehr sind? Oder gibt es neben der hochzählenden Händler-ID noch einen anderen Platz, wo Otto-Händler zu finden sind?"


Montag, 23.9.2024, 13.43 Uhr:
Wir fragen mangels Antwort nochmal nach.


Montag, 23.09.2024, 14:30 Uhr:
Antwort Otto: "Unsere Zahlen sind garantiert richtig, weil es ja Kunden sind, denen wir Rechnungen schicken. Ich kann Ihnen anbieten: Senden Sie mir doch einfach Ihre Auswertung und ich lasse unsere Experten darauf schauen, um zu ermitteln woher die Diskrepanz kommt."

"Sie können also weiterhin beruhigt unseren Zahlen vertrauen."




Dienstag, 24.09.2024, 11:44 Uhr:
Otto erhält unseren kompletten Datensatz.


Dienstag, 24.09.2024, 15:31 Uhr:
Antwort Otto: "Wir haben Ihre Liste mit unseren Daten verglichen: Tatsächlich fehlen bei Ihnen rund 800 verkaufsfähige Partner, die meisten davon wurden in 2024 ongeboarded. Darüber hinaus finden sich veraltete Daten. Sie können also weiterhin beruhigt unseren Zahlen vertrauen."


Mittwoch, 25.9.2024, 08.08 Uhr:
Neuhandeln-Nachfrage: "Können Sie mir dazu bitte Details nennen? Otto Marktplatz schaltet ja Händler mit aufsteigender ID frei. In der 'untersten' ID ist Otto.de selber, dann geht es regelmässig nach oben. Fehlende IDs sind Shops, die es nicht gibt. Die Frage ist nun: Wo sind die in der Liste fehlenden Shops. Können Sie mir ein paar Beispiele nennen?"


Mittwoch, 25.9.2024, 10.59 Uhr:
Antwort Otto: "Bitte haben Sie Verständnis: nein, weitere Details kommunizieren wir hierzu extern nicht. Sie werden verstehen: Wir haben wenig Interesse daran Personen, die unseren Händlerdaten auslesen, um damit ihre Dienstleistungen anzubieten, tiefergreifende Hinweise auf unsere Interna zu geben. Das Grundproblem bei Webcrawlern bliebe ohnehin bestehen, die Daten, die sie auslesen, sind zwangsläufig immer veraltet und fehlerhaft."


Mittwoch, 25.9.2024, 11.11 Uhr:
Wir fragen: "Können Sie mir vielleicht wenigstens einen einzigen Otto-Marktplatzhändler nennen, der in der übermittelten Datei nicht gelistet ist, aber online auf dem Marktplatz aktiv ist?"


Donnerstag, 26.9.2024, 9.54 Uhr:
Unter der Überschrift "Otto-Marktplatz wächst" verschickt Otto eine Pressemitteilung: "Die Erfolgsgeschichte ist ungebrochen, rund 6.500 Partner, fast 200 mehr als im Vorjahr, verkaufen heute ihre Produkte auf dem OTTO-Marktplatz."


Donnerstag, 26.09.2024, 9.30 Uhr:
Wir fragen nochmal: "Für die Berichterstattung am Freitag über den Otto-Marktplatz bräuchte ich (als Beleg Ihrer Aussage 'da fehlen 800 Händler') noch den Namen von mindestens einem Marktplatz-Händler, der NICHT in dem Otto übermittelten Datensatz gelistet ist, aber noch aktiv ist. Können Sie mir den bitte bis heute Abend nennen?"


Donnerstag, 26.09.2024, 10.27 Uhr:
Antwort Otto: "Das schafft die zuständige Abteilung leider nicht, aber Sie können beruhigt unsere Zahlen übernehmen - die stimmen garantiert."


Donnerstag, 26. 09.2024, 10.31 Uhr:
Wir haken nochmal nach: "Bis wann schafft es denn die zuständige Abteilung, mir einen einzelnen aktiven Händler zu nennen, die im Datensatz nicht drin ist? Sie hatten mir ja geschrieben, dass sie 800 Händler kennen, die in der Liste fehlen."


Donnerstag, 26.09.2024, 11.02 Uhr:
Antwort Otto: "Ich befürchte gar nicht mehr..."

Donnerstag, 26.09.2024, 11.08 Uhr:
Noch ein Versuch von uns: "Dann muss ich wohl davon ausgehen, dass die '800 fehlenden Shops' nicht existieren und der Datensatz vollständig ist."


Donnerstag, 26.09.2024, 11.16 Uhr:
Antwort Otto: "Nein, Ihre DIY-Messung wird immer fehlerhaft sein, das hatte ich Ihnen ja bereits erläutert, Sie haben ja die richtigen Zahlen von mir."


Freitag, 27.09.2024, 10.28 Uhr:
Die erste Fassung dieses Artikels geht online.


Dienstag, 1.10.2024, 10.23 Uhr: Otto liefert uns Datensätze, die den Crawler-Fehler belegen (?Wenn ein Partner lange im Onboarding verweilt, kann es sein, dass ein neuer Livegang eine höhere Partner-ID betrifft?).


Dienstag, 1.10.2024, 11.16 Uhr: Ein neuer Crawler-Lauf findet nun mehr Marktplatzshops (insgesamt 7.639, davon 6.364 nicht gelöschte).

Wochenende, 5./6. Oktober: Die Crawler-Programmierer prüfen noch. Zum aktuellen Stand entdeckt der Crawler 6.132 aktive Marktplatzshops mit mindestens einem Produkt. Nach aktueller Zählung fehlen bis zum Redaktionsschluss dieses Versandhausberaters also immer noch 332 Marktplatzhändler gegenüber den Otto-Angaben. Wir suchen weiter.

Ich habe natürlich meine evangelische Schulausbildung absolviert. Aber Glauben gehört meines Wissens nach in die Kirche und nicht in die Medien und schon gar nicht in den E-Commerce. Unser Nachbohren hat bislang also folgendes ergeben:

  • Dass es nach der Preiserhöhung auf dem Marktplatz zu einer Kündigungswelle gekommen ist, bestreitet Otto nicht. Die Frage ist nur: Wie groß war diese Kündigungswelle?
  • Es kann für einen Marktplatz gute Gründe geben, seine Marktplatzteilnehmenden auszuflöhen. Otto sagt seber: Man wolle lieber hochkarätige Händler als viele Händler - auch um Qualität als USP des Marktplatzes sicherzustellen. Kann man für richtig oder falsch halten - ist aber in jedem Fall ein gutes Argument.
  • Ob die Preiserhöhung und der Wechsel an der Marktplatz-Spitze wirklich eine "Krise" des Otto-Marktplatzes ist, wie das Handelsblatt vermutet, halte ich für eine eher steile These. Dass der (wachsende) Marktplatzumsatz zulasten des (renditenstärkeren) eigenen Shopumsatzes geht, ist ja (wie Otto selber sagt) "das Los eines Marktplatzbetreibenden" und insoweit vermutlich eingepreist.
  • Erst nach vielfacher Nachfrage (und zwei Berichten unsererseits) hat Otto angeforderte Zahlen geliefert. Das hätte der Kritik an den kolportierten Zahlen den Wind aus den Segeln nehmen können.
  • Auch heute noch kann man sehen, dass neue Händler auf dem Otto-Marktplatz freigeschaltet werden. Nach wie vor, wie an einer Perlenkette: Immer mit einer um eins erhöhten Händler-ID. Die Verschiebung der Händler-ID während des Onboardings berücksichtigt der ?DIY-Crawler? nun.
  • Der hier dokumentierte Eiertanz von Otto ? und das Beharren auf Glaube statt auf Fakten ? legen die Vermutung nahe, dass man irgendwann eine hübsch hohe Händlerzahl hat kommunizieren wollen und jetzt warten muss, bis das reale Händlerwachstum die kommunizierte Zahl von 6.500 erreicht.


Uns ist es wichtig, dass wir bei unserer Berichterstattung stets alle Seiten berücksichtigen - und dass wir falsche oder unvollständige Berichte korrigieren. So haben wir inzwischen 500 der 800 Händler gefunden. Eine Lücke bleibt. Wir bleiben dran.
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