Die Zeit 2010 bis 2021: Als das "E-" im E-Commerce verschwindet

von Joachim Graf

19.08.2021 Die Internet-Pureplayer sind auf der Überholspur und setzen den klassischen Versandhandel in den 10er Jahren so stark unter Druck, dass so mancher Consultant schon vom Ende des Versandhandels spricht. Doch die Branche kommt stark zurück - crossmedia, dialogaffin und kanalübergreifend.

 (Bild: Pixabay/ geralt)
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 (Bild: HighText Verlag)
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Die Geschichte der zehner Jahre erzählt man beispielhaft am besten an der Geschichte von Zalando   . 2008 in der Samwer-Schmiede als Copycat von (und damit als Übernahmekandidat für) Zappos   gegründet, bedient sich der Schuhversender beim mit Baur   verbandelten Schuh-Startup Mirapodo.de   . Doch Zappos weigert sich, die Copycat zu kaufen, eine andere Exitstrategie muss her. 2013 wird Zalando zur AG umgewandelt, ein Jahr später geht das zum Fashion-Versender gewandelte Unternehmen an die Börse.

Hochprofessionell die gesamte Onlinemarketing-Klaviatur bespielend wächst und wächst Zalando. 2014 ist das erste komplett profitable Jahr, trotz 50 Prozent Retourenquote. Die Folgejahre sind auch schwarz. 2021 ist Zalando mit 1,6 Milliarden Euro drittgrößter deutscher Onlineshop. Größer sind nur Amazon   und Otto.de   . Mirapodo ist schon 2013 in die Arme der My­toys-Gruppe   und damit unter das große Otto-Dach geflüchtet.

E-Commerce dominiert schon Ende 2012 mit 70 Prozent den Versandhandel, im Onlinebuchhandel sammelt in diesem Jahr Amazon bereits drei Viertel des gesamten Umsatzes ein. Auch an anderer Stelle greift Amazon auf breiter Front an: Neue eigene Versandzentren entstehen. Mit Gratislieferungen ohne Mindestbestellwert sowie Morning- oder Evening-Express, 'Same Day Delivery' genannt, will der Onlinehändler der Konkurrenz zeigen, wo der Hammer hängt.

Der vom Versandhausberater initiierte 'Deutsche Versandhandelskongress' firmiert im Zug der Versandhandelskrise 2012 zur 'Neocom' um und richtet sich auf E-Commerce und Multichannel-Handel aus. Man trennt sich zuerst im Streit vom Mitveranstalter BVH, der die Konkurrenzveranstaltung 'ETailment-Summit' aufsetzt und versöhnt sich zwei erfolglos getrennte Jahre später, bevor die Kongressmesse 2018 nach ihren Umzügen von Wiesbaden nach Düsseldorf nach Bonn endgültig eingestellt wird.

"Multichannel" wird ECommerce-Wort des Jahres 2012. Doch (Aufreger!) viele Einzelhandelsunternehmen hängen lieber ein Schild mit 'Fotos verboten' in ihre Eingangstür, weil unbotmäßige Kundschaft im Laden online Preise vergleicht. Neckermann.de   stellt den Insolvenzantrag. Zuletzt hat der Versandhändler seinen Katalog eingestampft und angekündigt, ausschließlich online unterwegs zu sein (es reicht für Neckermann.de im Jahr seiner Insolvenz immerhin für Platz 3 im jährlichen Onlineshop-Ranking - hinter Amazon und Otto.de).

Die Otto-Gruppe übernimmt nach Quelle auch die Marke Neckermann. Ansonsten sind die Hamburger in diesen Jahren in einer tiefen Selbstfindungsphase. 2013 kündigt Otto erste Umstrukturierungen und Stellenabbau an - und spricht anschließend davon, seine heilige Kuh schlachten zu wollen: Dem Ottokatalog, dem Hauptkatalog, soll es an den Kragen gehen. Doch erst 2018 wird die Umstrukturierung abgeschlossen und der Hauptkatalog Geschichte sein. Mit großem Medienrummel erscheint vor Weihnachten 2018 der letzte Hauptkatalog der Hamburger. Wie es sich gehört, in höherer Auflage und mit höherem Verbraucherinteresse.

In der Zwischenzeit nimmt Otto viel Geld in die Hand, um sich von einem einkaufsgetriebenen zu einem kundenzentrierten Unternehmen zu wandeln: Mit einer Multishop-Strategie, personalisierten Inhalten und Apps von externen EntwicklerInnen will die Otto-Gruppe im millionenschweren Projekt "Collins" den E-Commerce neu aufrollen. Es entsteht About You, das im Juni 2021 an die Börse geht.

Hype-Thema des Jahres 2014 wird 'Drohnen-Delivery'. Sämtliche Logistik-Anbieter, einschließlich Amazon, starten PR-Aktionen (Der "DHL Paketkopter" wird erst im August 21 beerdigt). Mehr Relevanz versprechen Pilotprojekte für die letzte Meile wie Paketboxen, Click & Collect, Delivery from Store sowie Lieferzeitfenster.

Der chinesische Marktplatz Alibaba   ist doppelt so groß wie Amazon - und erlöst 2014 die Rekordsumme von 25 Milliarden Dollar bei seinem Börsengang. Auch immer mehr Online-Pure-Player bekommen Schwierigkeiten: Aufgrund der niedrigen Markteinstiegsbarrieren gehen immer mehr Onlineshops an den Start. Je nach Rechnung sind mittlerweile rund eine Million Unternehmen auf einem Marktplatz oder mit einem eigenen Onlineshop digital aktiv. Profitabel sind die wenigsten. Doch dieser Longtail von Hobbysellern, Nebenerwerbs-Retailern und Auch-Verkaufenden jenseits der Top-1.000 der größten Onlineshops ist Jahr für Jahr für knapp ein Drittel des gesamten ECommerce-Umsatzes gut.

Facebook   bohrt seinen Messenger zum Sprach-Bot für Conversational Commerce auf, was niemanden interessiert. Mit Amazon Dash kommt 2015 der erste Vertreter von Contextual Commerce auch in Deutschland an - was nur deutsche VerbraucherschützerInnen interessiert, die Dash 2019 gerichtlich abschießen. Als nachhaltiger wird sich ein anderer Trend erweisen: ECommerce-Marktplätze schießen 2017 nur so aus dem Boden. Das Vorbild ist - natürlich Amazon, die mit 'Amazon Business' ins B2B-Geschäft einzusteigen versuchen. Zalando will "Mode-Betriebssystem" werden, Real kauft Hitmeister, Otto setzt auf seine Collins-Plattform, Karstadt übernimmt Hood.de   , Rewe   verkauft auf einmal Drittsortimente und Intersport   will zentrale Online-Plattform werden. Der Baur Versand   schafft im September 2018 einen eigenen Unternehmensbereich E-Commerce. Doch es wird noch Jahre dauern, bis die Marktplatzinitiativen der großen Versandhandelsunternehmen zu ziehen beginnen. Wie schwierig es ist, hier die richtige Richtung zu finden, zeigt sich am Beispiel des Marktplatzes Hitmeister. Als Ebay   -Konkurrenz 2007 gestartet, kauft Real 2016 den Marktplatz. Dort dümpelt er vor sich hin, bis er nach der Real-Zerschlagung 2020 bei der Schwarz-Gruppe   landet, die ihn 2021 als Kaufland.de   wiederbelebt.

Mit "Stabwechsel" betitelt ist die Ausgabe 14/2018: Ab April übernimmt der HighText Verlag den Versandhausberater vom FID-Verlag   . Der bisherige Chefredakteur Michael Jansen , der Markus Howest (2014-2016) und Barbara Bergmann (2016-2017) nachgefolgt ist, bleibt dankenswerterweise als Beiratsvorsitzender und Katalog-Guru erhalten. Die Redaktion wird unter dem neuen Herausgeber Joachim Graf auf mehr Schultern verteilt. Mit Susanne Fricke steht auch wieder eine Frau in der männerdominierten Tradition der Heftmachenden. Das Onlineangebot Versandhausberater.de wird zum zentralen Informations- und Nachrichtenmedium der Versandhandelsbranche ausgebaut und um Unternehmensrankings und Webspecials erweitert. Die Ausgaben als E-Book sowie sämtliche Versandhausberater-Inhalte werden den AbonnentInnen online bereitgestellt. Virtuelle Gesprächskreise für Abonnierende entstehen, wie der "Think-Tank Katalog". Ausgebaut werden die Awards "Katalog des Jahres"   (der 2021 erstmals in einem Online-Event verliehen wird) und der "E-Retailer des Jahres"   als Publikumsaward. Das etablierte "Verzeichnis des Versandhandels" wird in Zusammenarbeit mit dem bevh   redaktionell erweitert und zum "E-Retailer Jahrbuch"   .

2018 bekommt Deutschland auch endlich einen Ausbildungsberuf für die digitale Wirtschaft: Von August an können alle Betriebe, die Onlinekanäle für den Vertrieb ihrer Waren und Dienstleistungen nutzen, "Kauffrauen und Kaufmänner im E-Commerce" ausbilden. Der Erotikhändler Beate Uhse   scheint einen Weg aus der Krise gefunden zu haben. Nachdem das Unternehmen im Dezember 2017 in die Insolvenz gerutscht ist, wagt es nun einen Neustart unter neuem Namen und neuer Firmierung. Künftig tritt man als "be you GmbH" auf. Konkurrent Orion   , in den frühen 80er Jahren aus der Teilung des Beate Uhse Konzerns hervorgegangen, ändert seine Zielgruppe weg vom männlichen Porno-Klientel und verkauft kataloggestützt und crossmedial Sextoys vor allem an Frauen.

Die globale Corona-Pandemie sorgt im Jahr 2020 für einen Wachstumsschub im Versandhandel: Um 14,6 Prozent legt der Onlinehandel zu - auf nun 83,3 Milliarden Euro. Besonders gut läuft es bei Lebensmitteln (plus 40 Prozent) und Medikamenten (plus 54 Prozent). Bisher ECommerce-averse Zielgruppen entdecken den Versandhandel - und alle gehen davon aus, dass diese auch in den Folgejahren den Versandhandelsunternehmen erhalten bleiben. Obwohl immer mehr Stationärhandelsunternehmen den Crosschannel entdecken (zeitweise kann 2020 und 2021 in der Fläche ohne Click&Collect überhaupt kein Umsatz gemacht werden), suchen interessierte Stellen Schuldige für leerstehende Fußgängerzonen und finden sie im Versandhandel. Erst wollen die Grünen den Onlinehandel besteuern, dann tauchen in SPD und CDU zum Jahreswechsel Forderungen nach einer Paketsteuer auf. Im Sommerloch 2021 trommelt mit Drogeriefürst Raoul Roßmann der erste Crosschannel-Filialist für eine ECommerce-Abgabe zugunsten notleidender Innenstädte.

Sechzig Jahre nach Alfred Gerardis Erstausgabe ist die Trennung zwischen Versand- und Präsenzhandel nur noch ein theoretisches Konzept: Online und Fläche verschmelzen immer mehr zu integrierten Commerce-Konzepten. Auch die zwischenzeitige Verkündigung des Katalogtods ist wohl stark verfrüht gewesen: Otto beispielsweise druckt trotz Hauptkatalog-Einstellung nach wie vor Kataloge. Den Ikea   -Katalog gibt es 2021 als Audioformat. Auch entstehen neue innovative Formate: Be You belebt den Beate Uhse Katalog als Livestyle-Magazin neu. Mit dem Jubiläumsweinkatalog von Ebrosia   wird 2021 erstmals ein "Katalog des Jahres" gekürt, der per Programmatic Printing individualisiert gedruckte Elemente enthält. Egal, ob als Versandhandels-, ECommerce-, Crosschannel-, Onlinehandels- oder ERetailing-Unternehmen: Die Zukunft der Branche beginnt erst jetzt.

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