So reagieren Sie auf explodierende Kosten im E-Commerce

von Susanne Broll

07.04.2022 Eine Verknüpfung unterschiedlicher externer Faktoren stellt den Onlinehandel aktuell vor eine massive Kostenexplosion. So steigen derzeit unter anderem die Ausgaben für Sourcing, Logistik und Personal. Sieben Handlungsempfehlungen, wie Sie mit der Krise umgehen können.

 (Bild: Pixabay/ stevepb)
Bild: Pixabay/ stevepb
Verschiedene Faktoren, die sich gegenseitig verstärken, lassen derzeit die Kosten im Online- und Versandhandel in die Höhe schnellen. Das fängt bei Sourcing und Beschaffung an: Durch Corona haben sich die Kosten für einen Container, der per Schiff von Shanghai nach Hamburg gebracht wird, von 2.000 auf 20.000 US-Dollar verzehnfacht. Gleichzeitig haben sich die Laufzeiten zwischen China und Europa nach Berechnungen von Flexport   von weniger als 60 Tagen (vor der Corona-Pandemie) auf 107 Tage (Anfang Dezember 2021) nahezu verdoppelt. Das bedeutet im Klartext: Der Versand der Ware wird nicht nur teurer, sondern auch zunehmend unkalkulierbar.

Auch in anderen Ländern werden Kapazitäten für Frachten per Luft, See oder Straße knapper, während die Transportwege länger werden. Hier bekommt die Branche zunehmend die Folgen des Ukraine-Krieges zu spüren. Denn rund 20 Prozent der LKW-FahrerInnen, die bei osteuropäischen Unternehmen beschäftigt sind, kommen aus der Ukraine und Russland. Branchenschätzungen zufolge addieren sich zu den 60.000 bis 80.000 Beschäftigten, die schon vor dem Ukraine-Krieg in der Speditionsbranche fehlten, inzwischen bis zu 100.000 ukrainische FahrerInnen, die jetzt ihr Land verteidigen müssen. Ähnliche Effekte beobachtet man auf See, wo ca. 14,5 Prozent der weltweiten Schiffsbesatzungen von UkrainerInnen und RussInnen bestellt werden.

Treibstoff, Paletten, Kartonage und Mitarbeitende werden teurer

Durch den Ukraine-Krieg sind auch die Kosten für Gas und Öl explodiert. Das bedroht nicht nur Speditionen in ihrer Existenz, weil sie die gestiegenen Treibstoffkosten als Teil der Leistungserbringungen nicht direkt an ihre Kundschaft weitergeben dürfen. Auch die Nebenkosten für den Betrieb von Logistikimmobilien steigen - und das in einer Zeit, in der ein grundsätzlicher Mangel an geeigneten Lagerflächen die Fulfillment-Preise bereits in die Höhe treibt. Für zusätzlichen Kostendruck sorgen ein Mangel an Paletten (Schnittholz kommt zu großen Teilen ebenfalls aus der Ukraine) sowie an Papier und Kartonagen, welche die Preise ebenfalls steigen lassen.

Die angespannte Lage wird durch die in Deutschland beschlossene Erhöhung des Mindestlohns von 9,50 Euro auf 9,82 Euro (01/22) und weiter auf 10,45 Euro (ab dem 01.07.2022) sowie die im Koalitionsvertrag verankerte Zielmarke von 12 Euro weiter verschärft. Dieser Zielwert entspricht einer Kostensteigerung von 26 Prozent gegenüber Januar 2021. Da häufig bis zu 50 Prozent der Logistikkosten auf das Personal entfallen, wird dieser Effekt die Preisspirale weiter nach oben treiben.

Wir fassen mehrere kurz-, mittel- und langfristige Handlungsempfehlungen für Sie zusammen, mit denen Sie der Krise begegnen können.

1. Verschaffen Sie sich einen Überblick

E-Retailer sollten sich proaktiv mit der veränderten Ausgangslage auseinandersetzen. Dazu gehört, Produkt- und Prozesskosten in verschiedenen Szenarien zu simulieren. Was passiert, wenn die Kosten noch weiter steigen? Welche Konsequenzen hat es, wenn Materialien knapper werden oder sich Lieferzeiten um weitere vier Wochen verlängern? Versandhandelsunternehmen sollten die eigene Supply Chain eng überwachen - im
Hinblick auf die Kennzahlen und auf die Kosten.

2. Optimieren Sie Ihre Prozess-Effizienz

Jede manuelle Tätigkeit kostet unnötig Geld und sollte daher vermieden werden. E-Retailer können stattdessen ihre Prozesse nachschärfen und wo immer möglich über Automatisierung nachdenken. Das gilt auch für den Kundenservice. Dieser kann beispielsweise durch Chatbots entlastet werden, indem einfach Fragen wie "Wann kommt mein Paket?" oder "Wie kann ich einen Artikel retournieren?" zunächst vom Chatbot abgefangen werden. So werden Mitarbeitende durch KI entlastet und können sich auf kompliziertere Anfragen konzentrieren.

3. Suchen Sie nach alternativen Beschaffungsquellen und -routen

Die Corona-Pandemie hat deutlich vor Augen geführt, wie gefährlich es ist, sich auf eine einzige Bezugsquelle zu fokussieren. Versuchen Sie, sich mittel- bis langfristig weniger von externen Partnern abhängig zu machen und vielleicht auch stärker in politisch stabileren Regionen wie Westeuropa einzukaufen. Die Preise sind oft niedriger als Unternehmen erwarten, gleichzeitig lassen sich Nachhaltigkeitsaspekte besser darstellen.

Auch alternative Beschaffungsrouten sollten E-Retailer schnell in Anspruch nehmen können. Aktuell sind die Seidenstraße oder die Transsibirische Eisenbahn durch den Krieg in der Ukraine allerdings auch keine wirklichen Alternativen zur Containerfracht aus China.

4. Überprüfen Sie das eigene Sortiment

Eine kurzfristig umsetzbare Strategie ist es, das eigene Warenangebot zu reflektieren und die Komplexität zu reduzieren, indem man Produkte oder Eigenmarken aus dem Sortiment nimmt. So kann sich das engmaschige
Monitoring der Supply Chain auf weniger Produkte konzentrieren.

5. Verzichten Sie auf Rabattschlachten

Wer nur noch wenig Ware auf Lager hat, die in der Nachorder langsamer und teurer wird, sollte auf Rabattschlachten verzichten und stattdessen zum empfohlenen Verkaufspreis (UVP) verkaufen. Das leert zwar die Regale langsamer, doch profitieren E-Retailer unter dem Strich von besseren Margen.

6. Denken Sie über Versandkosten nach

Kostenfreier Versand gilt in Deutschland als heilige Kuh im E-Commerce und ist für viele Warenkörbe ein Conversion-Hebel. Doch während NeukundInnen auf diesen Punkt empfindlich reagieren, können Versandhandelsunternehmen ihrer Bestandskundschaft die Situation erklären und beispielsweise um Verständnis dafür bitten, dass man trotz Inflation die bisherigen Preise hält, dafür aber aufgrund gestiegener Kosten temporär Versandkosten einführen muss.

Auch für die Rücksendung von Retouren können E-Retailer ihre Kundschaft selbst zahlen lassen.

7. Binden Sie Ihre Kundschaft

Eine gute Kundenbindung macht sich immer bezahlt, besonders in der Krise. Denn KundInnen, die einen Bezug zu einem Anbieter haben, lassen sich per Mail oder andere Kommunikationskanäle in Notfällen aktivieren und sie akzeptieren kleine Einschnitte eher als NeukundInnen.


Autor: Oliver Lucas , Inhaber der ECommerce-Beratung ecom consulting  
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