Trends im Mobile Commerce: Wie Shopbetreiber das Potenzial besser ausschöpfen

von Christian Gehl

06.12.2021 Online-Shopping auf dem Smartphone boomt, doch der Frust über komplizierte Bezahlvorgänge ist groß. Spätestens seit den neuen Google-Regeln wird ein mobilgerechtes Geschäft zum Muss.

 (Bild: Alexandra_Koch auf Pixabay)
Bild: Alexandra_Koch auf Pixabay
Mobile Commerce wird in Deutschland immer wichtiger und die Zahlen sind beeindruckend: Mehr als jeder Zweite shoppt heute regelmäßig auf dem Smartphone, ermittelte der Digitalverband Bitkom in seiner Studie den E-Commerce-Trends. Wer seine Produkte an die Jugend verkaufen will, kann dies fast nur noch mobil tun. Drei Viertel aller unter 30-Jährigen benutzen ihr Handy, um nach interessanten oder auch nur dringend benötigten Produkten zu suchen.

Mobile konvertiert drei Mal schlechter als PCs

Der Knackpunkt: In den meisten Fällen bleibt es dabei. Sieben von zehn Usern brechen vor dem Kauf ab und geben entweder ganz auf oder suchen nach einer anderen Möglichkeit, eine Bestellung abzugeben. Die Ergebnisse stammen aus der Studie 'Mobile Pains & Incremental Gains', die Google zusammen mit der Marktforschungsfirma SKIM hatte. 20.000 Menschen wurden dabei nach ihren Erfahrungen mit dem mobilen Web befragt. Der Grund für die hohen Kaufabbrüche: "komplizierte" oder "nervenaufreibende" Bestellvorgänge auf dem Handy. Entsprechend mau sind die mobilen Konversionsraten.

Für Deutschland sind sie derzeit noch nicht erhältlich, im Übrigen auch keine Umsatzzahlen für Handy-Shops, doch die US-Firma Kibo Commerce - sie entwickelt Cloud-Lösungen für Online-Shops - hat sich auf dem internationalen Markt umgesehen und in ihrer Studie 'E-Commerce Quarterly Benchmarks Q4 2020' etwa für Großbritannien eine doppelt so hohe Konversionsrate bei PC- als bei Mobile Shops erkannt. In Deutschland reden Experten von einem noch schlechteren Verhältnis. Basierend auf ihren Erfahrungen nennen sie übereinstimmend die Zahl von 3:1.

Traditionelles Denken erschwert den mobilen Handel

Was also ist das Problem? Warum konvertiert Mobile so schlecht, erst recht, wo alle Welt ihre Smartphones doch über alles liebt? Und vor allem: Was ist dagegen zu tun?

Für Ruppert Bodmeier, Gründer und Geschäftsführer des Hamburger Innovation Labs Disrooptive, bilden traditionelle Denkstrukturen die Hauptursache für die schlechte User Experience im Mobile Commerce: "So wie viele früher gedacht haben, ein Online-Shop ist einfach nur der Versandkatalog auf dem PC, meinen heute viele, man könne den Desktop-Shop 1:1 aufs Handy übertragen."

Dabei sei es ja nicht nur der um vieles kleinere Bildschirm, der für einen mobilen Online-Shop berücksichtigt werden müsse, sondern auch die unterschiedliche Nutzung: "Die übliche Verweildauer auf dem Smartphone beträgt weniger als eine Minute", so Bodmeier. "Realistische Nutzungssituationen sind die Wartezeiten am Bus, an der U-Bahn, vielleicht noch ein Teil der Fahrt. Dafür ist der Bestellprozess heute viel zu komplex, teilweise muss man acht Mal klicken, um etwas zu kaufen."

Die Folgen: 70 Prozent Kaufabbrüche, mobile Konversionsraten von weit unter einem Prozent (Laut der Interessenvertretung E-Commerce Europe liegt die Konversionsrate für deutsche Online-Shops generell bei 2,22 Prozent. Mobil ist sie drei Mal schlechter).



Mobile entscheidet über das Google-Ranking

"Wir reden ja schon seit so vielen Jahren über Mobile First, aber de facto ist nicht viel passiert", sagt Alexander Handcock, Head of Growth Marketing bei der Münchner Softwarefirma Ryte. "Die Leute sitzen bei der Arbeit vor ihren Desktop-Rechnern und da wirkt Mobile sekundär." Doch neue Google-Regeln werden dieser verbreiteten Läuft-schon-Einstellung zwangsweise bald ein Ende setzen: Seit Mai 2021 greifen die sogenannten Core Web Vitals der Suchmaschine und diese wirken sich direkt auf das Ranking der Seite aus (siehe Kasten auf Seite 6). Schlechte Vitals, schlechte Position, und das vor allem deshalb, weil Google den mobilen Seiten fortan einen noch viel höheren Stellenwert einräumt als bisher schon.

Wichtigster Wert für eine gute Performance: Geschwindigkeit. Die Zeit, bis das größte Element im sichtbaren Bereich eines Smartphones lädt, wird fortan das Schicksal einer Website bestimmen oder doch zumindest deren Google-Ranking. Zweitwichtigster Faktor: Wie lange dauert es, bis der Browser nach dem ersten Klick des Users auf der Website reagiert? Antwort: Möglichst unter 100 Millisekunden. Es folgt die visuelle Stabilität der Seite, also bewegt sie sich wild hin und her, wenn neue Schaltflächen oder Videos geladen werden und bringt den User so im schlechtesten Fall dazu, auf einen falschen Button zu klicken? Oder bleibt sie vollkommen ruhig.

Studie gibt Mobile miserable Noten

Ryte hat dazu eine Studie veröffentlicht, in der über 200.000 E-Commerce-URLs im DACH-Raum auf eben diese Parameter hin untersucht wurden. Das Resultat ist schlicht desaströs. Nur 0,9 Prozent der mobilen Online-Shops im deutschsprachigen Raum schneiden nach Googles neuen Maßstäben mit "gut" ab. Und bei der Ladezeit für das größte Element im sichtbaren Feld schneiden 87 Prozent mit "schlecht" ab.

91 Prozent der mobilen Online-Shops stören die User Experience aufgrund instabiler Websites erheblich. Handcock warnt deshalb eindringlich: "Shop-Betreiber müssen wissen, dass sie ab sofort die mobile User Experience extrem bevorzugen müssen." Doch technische Mängel sind nur die eine Seite der Medaille - fehlende Innovationen die andere. In China wurde längst schon die nächste Stufe des mobilen Einkaufens gezündet und die Frage lautet eigentlich nur noch: Kann der Westen das auch? Gemeint ist Livestream-Shopping und dieses sieht in seiner derzeit erfolgreichsten Ausprägung ein bisschen aus wie die wildgewordene Smartphone-Tochter des altbekannten Teleshoppings. Produkte werden zwar immer noch in die Kamera gehalten, aber drum herum blinkt und flackert es, dass es eine wahre Freude ist.

Und mittendrin eine überaus aufgedrehte Verkäuferin, genannt Viya. Unter diesem Künstlernamen stieg die 34-jährige Huang Wei zum Superstar der Streaming-Verkäuferinnen auf. Die aktuelle Jahresbilanz ihrer Shows: Sechs Milliarden US-Dollar. Viya setzt damit in etwa gleich viel um wie alle Carrefour-Filialen in China zusammen, eine unfassbare Summe.

Zehn Gründe, warum Nutzer nicht im mobilen Web einkaufen

  • 1. Keine Lust zu scrollen: Allgegenwärtiges, ständiges Scrollen beim Suchen, Auswerten und Ausfindigmachen spezifischer Informationen empfinden Nutzer als monoton, zu zeitaufwendig und sinnlos.
  • 2. Kein lückenloser Vergleich: Umständlich, unstrukturiert und überfordernd - so ist der Vergleich mehrerer Websites und Angebote.
  • 3. Kein realistischer Eindruck der Produkte: Werden Produkte bzw. Dienstleistungen nicht optimal präsentiert, sind potenzielle Käufer unsicher, was sie genau erwartet.
  • 4. Schlechtes Timing: Erst beim Kaufabschluss werden wichtige Informationen zur Verfügung gestellt, durch die sich Nutzer gezwungen sehen, ihre Entscheidung zu überdenken.
    li>5. Kein automatisches Ausfüllen: Es gibt keine Funktionen, mit denen die Nutzer personenbezogene Daten sofort und mühelos abrufen können.
    >li>6. Unnötig komplexe Suche: Sind Nutzer mit zu vielen und/oder unzutreffenden Suchergebnissen konfrontiert, tun sie sich schwer, das Gewünschte effektiv und effizient ausfindig zu machen.
  • 7. Fehlende Details: Es sind nur wenige oder oberflächliche Informationen zum jeweiligen Produkt verfügbar.
  • 8. Ständige Pop-ups: Pop-up-Fenster und Benachrichtigungen beanspruchen viel Platz auf dem Display und lenken vom Kaufprozess ab.
  • 9. Zu wenig Bezug zum Unternehmen: Bei den Nutzern entsteht der Eindruck, dass die jeweilige Website nicht auf dem neuesten Stand ist, nicht gepflegt wird oder nicht serviceorientiert gestaltet wurde.
  • 10. Keine sicheren Zahlungsoptionen: Die Nutzer haben das Gefühl, dass ihre personenbezogenen Daten beim Bezahlen unterwegs möglicherweise nicht geschützt sind.
    Quelle: Studie 'Mobile Pains & Incremental Gains', Google
40.000 Livestreamer sollen in China derzeit Produkte über das Handy verkaufen, 50.000 Livestreams gibt es jeden Tag. Neuesten Zahlen zufolge ist Livestream-Shopping bereits für sieben Prozent des gesamten E-Commerce-Umsatzes in China verantwortlich.

In Deutschland wird das Pferd derzeit erst einmal von hinten aufgezäumt. Statt unabhängiger Influencerinnen stehen Tchibo-Verkäuferinnen für eines der ersten Liveshopping-Formate hierzulande vor der Kamera. Tchibo Live soll fortan wöchentlich oder zweiwöchentlich auf Sendung gehen. Immerhin ein Anfang.

Mit Influencern zum Erfolg

Dabei müssen Influencer noch gar nicht einmal unbedingt streamen, um zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor zu werden, meint Christopher Roskowetz. Der Tech-Chef von Jung von Matt hält sie für einflussreich genug, um Social Media zum vielleicht größten Verkaufskanal im Mobile Commerce werden zu lassen.

"Warum ist Amazon so erfolgreich? Zu einem großen Teil wegen der Kundenbewertungen", so Roskowetz. "Influencer werden diese Rolle beim Mobile Commerce einnehmen. Social Networks werden sich auf dem Handy so zu ernsthaften Wettbewerbern von Amazon & Co. entwickeln."


Noch ist das Zukunftsmusik, aber das enorme Vertrauen, das sowohl Micro- als auch Macro-Influencer in ihrer Fan-Gemeinde besitzen, verschafft Plattformen wie TikTok, Pinterest und Instagram eine erstklassige Ausgangsposition, um ihre Reichweiten zu monetarisieren. Wobei für Roskowetz vor allem TikTok ein enormes Potenzial besitzt, gebildet aus der Glaubwürdigkeit und Authentizität der Plattform sowie der hohen Kaufkraft ihrer jungen Zielgruppe.

Erst einmal die Hausaufgaben erledigen

Damit es soweit kommt, müssen Shopping-Apps und PWAs, also die technologische Weiterentwicklung responsiver Websites, aber erst einmal auf Stand gebracht werden. Felix Schirl, Geschäftsführer des Münchner Personalisierungsdienstleisters trbo, erinnert daran, dass dies in den meisten Fällen auch gar kein Hexenwerk sei, es müsse eben nur gemacht werden: "Oft verbessern ja schon Kleinigkeiten die User Experience: die Bildsprache, Schriftarten und Schriftgröße, die richtige Platzierung von Call-to-Action-Buttons, eine kleine 1 im Warenkorb, eine gut funktionierende Suche." Einer der wichtigsten Gründe für die weit verbreitete Frustration beim mobilen Shopping ist der oft sehr mühselige Kaufabschluss.

Alexander Handcock rät deshalb: "Um den Usern ein gutes Gefühl zu geben, sollten Online-Shop-Betreiber den Checkout-Prozess auf dem Smartphone so klar wie möglich darstellen und vor allem die Formulare und Payment-Methoden optimieren, um eine reibungslose User Experience zu gewährleisten." Ist dies erledigt und sind die Bilder zudem auf eine smartphone-gerechte Größe gebracht - banal, aber wirksam - kann an eine weitere Verbesserung der User Experience gedacht werden.


Ruppert Bodmeier denkt hier zuallererst an eine Neuanordnung der Menüpunkte: "Es würde schon helfen, das Burger-Menü unten statt oben zu platzieren, ebenso alle wichtigen Interaktionsmöglichkeiten. Mit einer Hand ist es unmöglich, das Menü oben zu erreichen, die Nutzung unten ist dagegen leicht. Man muss sich nur mal Facebook und Twitter diesbezüglich ansehen."

Mobilen Problemlösern gehört die Zukunft

Angesichts der überwiegenden Nutzung unterwegs mit zahlreichen Unterbrechungen und jeweils kurzer Verweildauer stehen mobile Shops stets unter dem Druck, Kaufentscheidungen schnellstmöglich herbeiführen und abschließen zu müssen.

Kein Wunder, dass deshalb vor allem Dienste boomen, die hier helfend eingreifen, etwa WhatsApp und Google Maps. Bodmeier glaubt deshalb, dass die Zukunft des Einkaufens auf dem Handy in einer neuen Perspektive liege: "Um im Mobile Commerce erfolgreich zu sein, muss man als Problemlöser auftreten, nicht einfach auf gut Glück 100.000 Produkte anbieten. Perspektivisch werden immer mehr Mobile-Commerce-Anbieter aus dem Alltagsgeschäft kommen."

Ein Beispiel: Freeletics. Die App fragt zuerst die persönlichen Fitness-Ziele ab und empfiehlt dann dazu passende Workouts. Oder Keller sMiles. Nachdem eine Sport-App mit dem Fitness-Tool des Sportartikelhändlers verbunden wurde, erscheinen verschiedene Challenges, die dem User dabei helfen, die in der Sport-App hinterlegten Ziele zu erreichen. Durch den Vergleich mit anderen Teilnehmern wird die Motivation gefördert, außerdem gibt es 'Koins' zu erreichen, die in Sportbekleidung umgetauscht werden können.

Auch den Erfolg des Hometrainers Peloton erklärt Bodmeier sich mit der Einbeziehung von kommunikativen Elementen wie dem Live-Training am Bildschirm sowie der Online-Konkurrenz bei jedem Wettkampf: Auch das ist Mobile Commerce, der nicht statisch Produkte anbietet, sondern sich dynamisch dem Alltagsbedarf anpasst. Dazu etwas Gamification
in Form von Gratifikationen und Wettstreit - ein Hoch auf die Aufmerksamkeitsökonomie! Hinzu kommt der gerade erst durchstartende Influencer-Boom: So könnte die Zukunft des Mobile Commerce aussehen.

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