Marktplätze entwickeln sich nach 2020 zu "Service-Maschinen"

von Christina Rose

20.05.2020 Der Marktplatzstandard entwickelt sich von ehemals verkaufsorientierten Marktplätzen (bis etwa Mitte 2010er) hin zu servicestarken Plattformen, die ihren Teilnehmern - zumeist gegen Gebühren - umfassende Lösungen für Vermarktung (Retail Media), Payment, Logistik etc. anbieten. Eine aktuelle Studie zeigt Charakteristika und Herausforderungen für Marktplätze der Zukunft.

 (Bild: Photo by Sam Beasley on Unsplash)
Bild: Photo by Sam Beasley on Unsplash
Amazon setzt in Sachen Service (in den USA und Europa) zweifelsohne Marktstandards, an denen sich alle Neu-Marktplätze orientieren müssen. Mit allen Konsequenzen, was Aufwand und Investitionen angeht. "Einfach so mal schnell" richtet man heutzutage keinen erfolgreichen Marktplatz mehr ein. Internationalisierung und Cross-Border-Commerce nehmen zu. Deutsche Marktplätze gehen vermehrt ins Ausland (Zalando, About You) und ausländische Marktplätze etablieren sich in der DACH-Region (Wish, letgo, Wayfair, Joom, Fruugo...). Was vor Jahren noch undenkbar war, geschieht heute permanent: Im Schlepptau der Marktplätze kommen neue Marken und Händler aus dem Ausland in die DACH-Märkte, und zwar direkt in die Hosentasche der Konsumenten, nicht selten direkt per App auf das Smartphone. Die Internationalisierung durch die Marktplätze geht rasend schnell vonstatten. Gesetzgeber, aber auch Steuer- und Zollbehörden haben darauf in den meisten Jurisdiktionen noch keine adäquaten Antworten gefunden. Das sind Ergebnisse der Studie 'Die Marktplatzwelt 2020' der ECommerce-Beratung Ecom Consulting   und des ECommerce-Dienstleisters Gominga   .

Einige Fakten zu Online-Marktplätzen:
  • Es gibt mehr als 480 Marktplätze international, davon 37 Prozent mit Präsenz in der DACH-Region
  • Die Anzahl der Marktplätze in DACH hat sich in den letzten 5 Jahren mehr als verdoppelt
  • Marktplätze machen inzwischen 50 Prozent oder mehr des E-Commerce aus, in vielen Regionen zudem mit überdurchschnittlichen Wachstumsraten
  • Rund ein Drittel der Marktplätze betreibt eigenen Handel auf ihrer Plattform, d.h. sie stehen in direkter Konkurrenz zu ihren Kunden, den Herstellern beziehungsweise Händlern
  • Ungefähr die Hälfte sowohl der globalen als auch deutschen Marktplätze sind vom Produktsortiment her Generalisten. Fashion & Lifestyle ist die größte produktspezifische Gruppe, gefolgt von Consumer Electronics und Home & Living
  • B2C dominiert zwar ganz klar, aber die Anzahl von B2B-Marktplätzen wächst deutlich. Ebenso schnell drängen neue Formate wie Social & Content Commerce in den Markt
  • Sehr viele neue Marktplätze sind in den letzten 5 Jahren entstanden, aber einige sind schon wieder verschwunden. Eine echte Konsolidierung steht noch aus
  • Pionier Amazon ist nach wie vor das Maß aller Dinge (zumindest außerhalb Asiens), vor allem wenn es um Reichweite und Services rund um den Marktplatz geht. Raum bleibt allerdings weiterhin für Produkte und Services, die nicht so gut in die "Maschine" Amazon passen. Dies ist beispielsweise bei Fashion & Food oder auch Social Commerce der Fall
  • Themen wie Direct-to-Consumer (D2C) und User Generated Content (UGC) sind enorm wichtig für Marktplätze und ihre Teilnehmer. Produktbewertungen, Produktfragen und Händlerbewertungen haben nicht nur den Community-Gedanken im E-Commerce etabliert, sondern ermöglichen Herstellern und Händlern, vom Nutzer ein Feedback zu bekommen sowie mit dem Endkunden zu interagieren. Im Zusammenhang mit Big Data Analytics und KI bieten sich hier völlig neue Möglichkeiten bzgl. Marktforschung und Customer Centricity
  • Die Veränderungsdynamik hält unverändert an. Spannend wird vor allem, welche Trends aus Asien sich weltweit durchsetzen und ob Europa endlich selbst Impulsgeber werden kann


Ausblick:
  1. Die nächsten Marktplatz-Spotlight-Segmente? Absehbar DIY, Food, Tierbedarf, Gesundheit, IoT in Consumer Electronics, Revival des Secondhand (ReCommerce) und natürlich diverse B2B-Segmente
  2. B2B-Plattformen mit großen Ambitionen und entsprechender Kapitaldecke (z.B. Amazon Business, Mercateo, scoutbee, Visable)
  3. Omnichannel-Marktplätze (online und offline) als neues Trendmodell? (z.B. real, Douglas, Amazon und Whole Foods, Google und Pointy)
  4. Neue Kooperationsformen nehmen zu (z.B. OTTO ready und Conrad Connect, Logistik von Galeria.de mit Amazon und Zalando), gefolgt von Big Deals (Merger & Acquisitions)
  5. Direct Brands (D2C-Brands) erobern die Marktplätze und nennenswerte Marktanteile in vielen Branchen. Zugleich werden Markenhersteller ihre Markendarstellung (Schutz, Content-Qualität, Reviews) stärker priorisieren
  6. Die asiatische Vorreiterrolle hat begonnen: Verbreitung von Mobile Commerce, Mobile Payment sowie Social Commerce deuten an, wo es hingehen kann (z.B. Alibaba-Kaola, Tencent-WeChat, Red-Xiaohongshu, Yunji, TikTok)
  7. Social & Content Commerce wird nicht nur einen Hype, sondern einen Großteil der Sieger in Europa/USA hervorbringen (und eine echte Herausforderung für Amazon)
  8. Die P2B-Verordnung und eine stringentere regulatorische Rahmensetzung für Marktplätze wird kommen (wem gehören die Daten und Kunden, wer haftet?), eine Amazon-Zerschlagung eher nicht
  9. Marktplatz-Ökosysteme florieren weiter: spezialisierte Beratung, Services und Softwareanbieter werden gebraucht, vor allem weil die Markenhersteller mehr Marktplätze in vielen Ländern bespielen wollen und oder müssen
  10. Großhändler und Einkaufsverbände, insbesondere im B2B: Umgang mit dem bzw. Einstieg in das Marktplatzgeschäft oder Game over?

"Der Marktplatz-Hype mag durchaus übertrieben und zuweilen nach Zeitgeist klingen, aber die Macht der Marktplätze ist bereits Realität und sehr wahrscheinlich sehen wir derzeit nur die Spitze des Eisberges" lautet das Fazit der Studienatoren.
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