Gemunkelt wurde schon länger, dass der Otto-Versand ein neues Kunden-Programm aufsetzen will. Im E-Commerce macht Amazon ja schließlich vor, wie man Kunden über ein Treue-Programm handfeste Vorteile bieten und so die Kundschaft an sich binden kann. Mit weltweit rund 100 Mio. Nutzern ist daher das Prime-Programm die Messlatte im E-Commerce. Doch im Vergleich zu „Amazon Prime“ ist das neue Otto-Programm „Up“ aber eine Enttäuschung. Nicht nur, weil klare Mehrwerte für die Kunden fehlen. Sondern vor allem, weil das Otto-Programm „Up“ handwerklich einfach schlecht umgesetzt ist.
Das zeigt sich schnell, wenn man das Programm „Otto Up“ im Detail analysiert. Dazu muss man sich zunächst einmal vergegenwärtigen, was das Kunden-Programm „Otto Up“ unter anderem bietet:
- Digitales Sparbuch: Kunden erhalten unter anderem eine Gutschrift von einem Euro, wenn sie eine Bewertung für einen Artikel schreiben, den sie bei Otto gekauft haben.
- Vorteile bei Partnern: Zusätzlich gibt es für Kunden eine so genannte „Up-Card“, über die es „starke Vorteile“ bei Partnern wie Kinos geben soll.
- Keine Versandkosten: Nutzer des Vorteilsprogramms können sich Bestellungen liefern lassen, ohne dass sie jedes Mal dafür einzeln Versandkosten bezahlen müssen.
So weit, so gut. Doch wirklich überzeugen können diese Services leider nicht. Ganz im Gegenteil:
- Digitales Sparbuch: Ein Bonus von gerade einmal einem Euro dürfte kein allzu großer Anreiz sein, um eine Produktbewertung zu schreiben. Nutzer erhalten zudem maximal zehn Bewertungen vergütet, so dass man durch Rezensionen kein nennenswertes Guthaben ansammeln kann. Dazu stellt sich die Frage, welche Qualität eine Bewertung hat, die mit Geld incentiviert wird. Die besten Bewertungen entstehen in der Regel, wenn Kunden ein Mitteilungsbedürfnis haben und ein Produkt besonders gut oder schlecht empfinden. Vergütungen gibt es zudem nur für Artikel, die von Otto direkt stammen. Wenn ein Partner das Produkt verkauft, gibt es kein Incentive. Das ist umso unverständlicher, da Otto zunehmend externe Partner auf seine Plattform holt und immer mehr Drittanbieter bei Otto verkaufen.
- Vorteile bei Partnern: Am Up-Programm nehmen alle Kunden automatisch teil, die bereits bei Otto kaufen oder jetzt zum ersten Mal dort bestellen. Um Ermäßigungen bei Partnern wie vergünstigte Kino-Karten nutzen zu können, müssen Kunden ihre Karte aber beim Partner vor Ort vorlegen. Wie man die Karte bekommt, verrät Otto nicht. Im Shop steht nur, dass Neukunden nach der ersten Bestellung eine digitale Karte freigeschaltet bekommen. Bestehende Kunden können diese in ihrem Konto einsehen. Dort sieht man aber nur ein Bild einer Kundenkarte.
- Keine Versandkosten: Nutzer des Vorteilsprogramms können sich tatsächlich Bestellungen liefern lassen, ohne dass sie noch Versandkosten bezahlen müssen. Diesen Service gibt es aber nicht automatisch, sondern nur als „Upgrade“. Dieses erhalten Neukunden automatisch, bestehende Kunden müssen für die Flatrate 19 Euro jährlich bezahlen. Otto bestraft hier also einmal mehr seine Bestandskunden dafür, dass sie bereits bei Otto einkaufen. Besonders verkopft: Um die Liefer-Flatrate nutzen zu können, muss man ein Paket bestellen mit einer Lieferzeit von zwei bis vier Werktagen (!). Digital abschließen lässt sich die Flatrate nicht. Wer das Paket als Bestandskunde ordert, muss automatisch 5,95 Porto bezahlen. Das Porto lässt sich nur sparen, wenn man einen Gutschein-Code eingibt. Im Paket ist auch ein Code enthalten, den Kunden bei jeder Bestellung angeben müssen. Wer das vergisst, zahlt trotzdem das Porto.

Kein Wunder, dass sich auch andere Marktbeobachter verwundert die Augen reiben. „Während Amazon seinen Prime-Service langsam einführte und sukzessive um Mehrwerte wie Film oder Musik ergänzte, verwirrt Otto den Kunden schon bei der Einführung“, analysiert der auf Online- und Multichannel-Handel spezialisierte Berater Patrick Palombo (siehe Foto). Sein vernichtendes Fazit: „Transparenz und klares Marketing geht anders.“
Zustimmung erntet er von E-Commerce-Unternehmer Ralph Hesse, der unter anderem im Jahr 2000 den auf Fotobücher spezialisierten Online-Händler Fotokasten mitgegründet hat und heute ebenfalls E-Commerce-Berater ist.
„Für einen Online-Händler gibt es nichts wichtigeres als wiederkehrende Kunden, daher ist ein Programm zur Kunden-Bindung immer zu begrüßen“, weiß Hesse. „Leider bietet Otto hier recht wenig. Das Amazon Prime Programm ist zwar um einiges teurer, es bietet jedoch auch viel mehr.“

Seiner Analyse nach bewirbt Otto bei seinem Up-Programm jetzt zudem Vorteile, die es auch vorher schon bei den Hamburgern gegeben hat. Und tatsächlich ist im Werbevideo zu „Otto Up“ unter anderem zu sehen, dass Otto mit Vorteilen wie Beratung, Ratenzahlung und kostenlosen Retouren wirbt. Diese Services sind nun wirklich nicht neu und Otto-Standard.
„Otto Up sieht aus wie die totale Kapitulation vor Amazon und seinem extrem erfolgreichem Prime-Programm“, sagt Hesse. „Otto hat so keine ernsthafte Möglichkeit mehr, für Amazon eine Gefahr zu werden.“
Zum Vergleich: Die Mitgliedschaft bei „Amazon Prime“ kostet derzeit 69 Euro im Jahr. Mitglieder bekommen Pakete versandkostenfrei, was sonst erst ab einem Bestellwert von 29 Euro der Fall ist. Kunden können zudem kostenlos Filme und Serien im Video-Stream sehen. Dazu gibt es kostenlos ein eBook pro Monat für den hauseigenen eBook-Reader Kindle sowie kostenloses Musik-Streaming.
PS: Verpassen Sie keine Beiträge mehr! Jeden Freitag liefert Ihnen unser Newsletter alle Nachrichten, Analysen und Insider-Infos der Woche kostenlos in Ihr Postfach. 4.317 Kollegen aus dem Versand- und Multichannel-Handel nutzen diesen Service schon, um up-to-date zu bleiben. Jetzt anmelden!.
Kurzer Hinweis:
Bewertungen incentivieren macht nach demselben Modell zB HolidayCheck hab ich dieser Tage gelesen. Die schreiben pro Bewertung 100 Miles & More Punkte gut.
Mag für den ein oder anderen schon den Ausschlag geben sich kurz hinzusetzen und ein paar Zeilen zu schreiben.
Wer solche Marketing“experten“ einstellt, den braucht die Konkurrenz nicht mehr zu fürchten. Ich frage mich wirklich, wie ein so großes und renommiertes Unternehmen auf eine solch katastrophal unausgegorene Idee kommen kann.
Im Bekanntenkreis höre ich nahezu übereinstimmend immer wieder die Aussage, man hätte früher durchaus bei Otto etwas bestellt (meist Kleidung). Das sei aber nun zunehmend nicht mehr der Fall. Kritisiert wurden von mehreren Leuten, mit denen ich sprach, die viel zu lange Lieferzeit. Fünf bis sieben Tage Lieferzeit für auf Lager befindliche Kleidung sei normal.
Hermes gehört zu Otto. Man hat also alle Möglichkeiten einer schnellen Logistik im Haus. Wenn man es dann dennoch nicht schafft, bei der Lieferzeit mit dem Marktführer mitzuhalten, sollte man sich ernsthaft fragen, was gerade schiefläuft.
Bei meiner letzten Bestellung bekam ich den deutlichen Hinweis, doch bitte nicht zwei Größen eines Artikels zu bestellen. Ich konnte die Bestellung danach aber dennoch durchführen. Das finde ich als Kunde schon grenzwertig, wenn es aus Händlersicht natürlich aber nachvollziehbar ist.
Andere Leute berichteten mir aber, dass sie nach dem Hinweis die Bestellung NICHT durchführen konnten, das Bestellsystem sich also schlicht weigerte, mehrere Größen eines Artikels zu akzeptieren.
Damit treibt man Kunden mit Nachdruck zur Konkurrenz.
Und mal ehrlich: Ich darf €20 im Jahr für die Versandflat bei Otto bezahlen und muss dann dennoch immer daran denken, einen Gutscheincode einzugeben? Ist das deren Ernst? Otto schafft es nicht, die Flatrate im Kundenkontakt zu hinterlegen? Bei einer solchen technischen Unfähigkeit oder besser Unwilligkeit bestelle ich dann doch lieber gleich bei der Konkurrenz (und die heißt bei Kleidung bei mir meist eher nicht Amazon oder Zalando).
Mal ehrlich, OTTO existiert doch nur noch, weil es dort Ratenzahlung gibt. Damit steht die Zielgruppe doch fest und diese wird auch weiterhin bei OTTO bestellen. Barzahler finden dagegen woanders ihre gewünschten Produkte zu sehr viel günstigeren Preisen. Auch die irreführende 0% Finanzierung bietet OTTO nur für Ratenlaufzeiten bis zu 12 Monaten. Wohl wissend, dass die Barzahlungspreise bereits bei anderen Anbietern günstiger sind und die finanzschwache Zielgruppe längere Ratenlaufzeiten in Anspruch nehmen muss, um ihre „Wünsche“ erfüllt zu bekommen. Und bei denen schlägt OTTO mit einem effektiven Jahreszins von 15,65 % zu. Ein lukratives Geschäft für OTTO, aber das denkbar schlechteste für die Kunden, denen es beim Kauf an Liquidität mangelt.
Somit kostet ein aktueller OLED Fernseher mit einem Warenwert von 2139,98 € über einen 48-monatige Finanzierung bei OTTO stolze 2838,47 €. Allein der Ratenaufschlag über die 48 Monate beträgt 698,49 €. Und selbst bei diesem Preisaufschlag werden sogar noch die Versandkosten zusätzlich berechnet. Die Zielgruppe von OTTO zahlt solche Aufpreise, denn als Dauerschuldner sind sie loyal und knirschen nicht mal mit den Zähnen, wenn sie Monat für Monat solche Ratenzahlungen leisten.
Schnäppchen gibt es bei OTTO nicht wirklich. Nicht mal für Barzahler. Die angeblichen Sonderangebote liegen immer über den vergleichbaren Angeboten der Mitbewerber. Doch diese bieten keine Ratenzahlungen an und deshalb kann sich OTTO auch in Zukunft sicher sein, dass ihnen die Schuldner nicht davonlaufen. Doch das erzählt niemand auf der Party, ob die eigene Garderobe, die Unterhaltungselektronik, die Wohnungseinrichtung und sogar die Urlaubsreisen nur auf Pump finanziert werden. Für die primäre Zielgruppe von OTTO muss die Show stets weitergehen, auch wenn sie bis über die Halskrause in Schulden stecken.
Otto Up? Kunden Down!
Hier wird immer nur gemault – na klar kostet es auch nur 19 Euro, weil damit nicht soviel Service angeboten werden kann mit Amazon. Sonst müsse es ebenfalls jenseits der 50 Euro kosten. Diese Geiz ist Geil-Mentalität ist schon beschämend. Und natürlich kostet Sameday-Lieferung auch mehr und ist mit den 19 Euro nicht abzudecken, daher Lieferungen 2-4 Tage voll nachvollziehbar. Ihr seid diejenigen, die dafür sorgen, dass Niedroglöhner bei Amazon und sonstwo angestellt werden, da es nur um den eigenen Geldbeutel geht. Amazon wird irgendwann so groß werden, dass sie die alleinige Marktmacht haben und nur noch Hungerlöhne zahlen bei miserabler Arbeitsqualität. Das solltet ihr auch schreiben!