Widerrufsrecht: Wieso Matratzen-Urteile überbewertet werden

von Stephan Randler

30.08.2017

 (Bild: NH-Pressebild)
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Bild: NH-Pressebild unter Creative Commons Lizenz
Mit Spannung wartet die Branche auf ein aktuelles Urteil, ob Verbraucher einen Hygiene-Artikel wie eine Matratze nach einer Online-Bestellung retournieren dürfen. Rechtsanwalt Rolf Becker warnt in einem Gastbeitrag aber davor, das kommende Urteil überzubewerten. Denn es handelt sich um eine Entscheidung in einem Einzelfall, die sich wohl nur schwer auf andere Hygiene-Artikel übertragen lassen dürfte. Im schlimmsten Fall bleiben daher Ausnahmen im Widerrufsrecht sogar weiter keiner Systematik zugänglich. Ein relativ großes Medienecho fand die Verhandlung vor dem BGH am 23.08.2017 zum Widerruf von Matratzen-Bestellungen. Selbst die Tagesschau berichtete, dass es noch nichts zu berichten gibt. Der BGH hatte nämlich in der Verhandlung am Mittwoch nicht entschieden, sondern angedeutet, dass er den Europäischen Gerichtshof befragen werde. Hintergrund ist die Klage eines Mannes, der im Online-Shop eine Matratze erworben hatte und diese nach ein paar Tagen wieder zurückgeben wollte. Zum Probeschlafen hatte er die Schutzfolie entfernt. Unter Verweis darauf hatte der Shop einen Widerruf der Bestellung verweigert. Es handele sich um einen Hygieneartikel. Zwar scheint auf den ersten Blick der Fall gesetzlich geregelt zu sein. Gemäß § 312g Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB besteht das Widerrufsrecht nicht bei Verträgen „zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde.“ Es kommt aber zum einen darauf an, was überhaupt Hygieneartikel sind. Zum anderen kommt es darauf an, was eine Versiegelung in diesem Sinne sein soll. Verkündungstermin der Entscheidung ist der 8. November 2017.

Zahnbürsten und Erotikspielzeug

Mit dem Hinweis „Bei Zahnbürsten oder Erotikspielzeug ist die Sache klar“ berichtet Tagesschau.de. Doch selbst da kann man sich irren, wie das OLG Koblenz (Az.: 9 W 680/10) für Badeenten mit Vibratorfunktion entschieden hat (kein Hygieneartikel). Der Begriff der Hygiene, so der Senat, umfasse nach den bekannten Definitionen schwerpunktmäßig die Gesundheitsfürsorge, die Gesundheitspflege und die Körperreinlichkeit. Badeenten in den Vereinsfarben der Bundesligavereine seien nicht als Hygieneartikel, sondern vielmehr als Fanartikel anzusehen. Zu den Badeenten mit Vibratorfunktion heißt es lapidar, dass diese eher als Erotikspielzeug gelten. „Ein Wettbewerbsverstoß der Antragsgegnerin könne daher nicht festgestellt werden.“ Aber auch sonstige Hygiene-Fragen werden immer wieder im Einzelfall entschieden, wie der muffig riechende Rasierer von Backnang, der das AG Backnang (Urteil vom 17.06.2009; Az.: 4 C 810/08) veranlasste, dem Händler 100% Wertersatz zuzusprechen, da das Teil nicht mehr wiederverkäuflich sei. Das Urteil zeigt, dass es allein auf die eng auszulegenden Ausnahmen vom Widerrufsrecht nicht unbedingt ankommen muss. Selbst wenn ein Widerrufsrecht besteht, kann noch ein Wertersatzanspruch in Rede stehen, wenn etwa der Rasierer mit Bartstoppelresten und schimmlig riechend den Rückweg antritt.

Hype um Einzelfallentscheidungen

Abgesehen von der Frage, wie eine Versiegelung auszusehen hat, wird der aktuelle Rechtsstreit wenig Klarheit bringen. Zwar hatte die Vorsitzende des Senats Karin Milger orakelt: "Der EuGH wird dann hoffentlich nicht nur die Matratzenfälle lösen, sondern auch andere Fälle in dem Bereich". Es wird jedoch grundsätzlich nur zu einem Artikel „Matratzen“ entschieden und es ist nicht zu leugnen, dass dies für Matratzenhändler interessant sein kann. Eine Übertragbarkeit auf andere Artikel, wie etwa BHs oder Unterwäsche wird schwer fallen. Der Autor dieser Zeilen hat bereits in 2008 in einem Fachartikel (Becker/Föhlisch, „Von Dessous, Deorollern und Diabetes-Streifen – Ausschluss des Widerrufsrechts im Fernabsatz“,  NJW 2008, S. 3751) darauf hingewiesen, dass die Ausnahmen im Widerrufsrecht Lobbyarbeit sind und keiner Systematik zugänglich. Zu Matratzen erfolgte schon damals der Hinweis darauf, dass diese ja auch „gebraucht“ munter in Hotelbetten genutzt werden, ohne dass dabei Hygienefragen die Nutzung ausschließen. Ein Widerrufsrecht entfällt damit eher nicht.

Kundenorientierung entscheidet

Am Ende des Tages wird ohnehin der Kunde entscheiden, wie er mit Widerrufsausschlüssen umgeht. Fakt ist, dass es empfohlen wird, Testnächte mit der Matratze der Träume zu verbringen. Wenn diese aus Transportgründen in Plastikrollen verpackt ankommen, bleibt nichts anderes übrig, als die Verpackung zu öffnen. Aber auch wenn die Matratze umhüllt bleibt, dürfte eine aussagekräftige Probe schwer fallen. Längst gewährt die Branche daher ein erweitertes Probeschlafen von 30 bis 100 Tagen. Was letztlich verdeutlicht: Weniger die Rechtsprechung zu Einzelfällen bei den Widerrufsausnahmen wird die Angebotslandschaft prägen als der Wettbewerb - dem man sich ohnehin nicht entziehen kann. Rolf Becker Rechtsanwalt Rolf Becker    (siehe Foto) ist Mitglied der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht e.V. GRUR und Mitglied des ECC-Club – ein Netzwerk für E-Commerce und Cross-Channel – und ständiger Teilnehmer in der Expertenrunde Recht der Stiftung Warentest (Finanztest). Neben der Beratung im Werbe- und Wettbewerbsrecht sowie zu Urheber- und Markenrechtsfragen im Distanzhandel und dem E-Commerce liegen weitere Schwerpunkte in der Beratung zum Direktmarketing, IT-Recht und dem Datenschutzrecht. E-Mail-Kontakt: rbecker@kanzlei-wbk.de  
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