"Totale Kapitulation vor Amazon": Neues Programm "Otto Up" enttäuscht

von Stephan Randler

15.06.2018

 (Bild: NH-Pressebild)
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Bild: NH-Pressebild unter Creative Commons Lizenz
Gemunkelt wurde schon länger, dass der Otto-Versand ein neues Kunden-Programm aufsetzen will. Im E-Commerce macht Amazon ja schließlich vor, wie man Kunden über ein Treue-Programm handfeste Vorteile bieten und so die Kundschaft an sich binden kann. Mit weltweit rund 100 Mio. Nutzern   ist daher das Prime-Programm die Messlatte im E-Commerce. Doch im Vergleich zu "Amazon Prime   " ist das neue Otto-Programm "Up   " aber eine Enttäuschung. Nicht nur, weil klare Mehrwerte für die Kunden fehlen. Sondern vor allem, weil das Otto-Programm "Up" handwerklich einfach schlecht umgesetzt ist.
  Das zeigt sich schnell, wenn man das Programm "Otto Up" im Detail analysiert. Dazu muss man sich zunächst einmal vergegenwärtigen, was das Kunden-Programm "Otto Up" unter anderem bietet:
    Digitales Sparbuch: Kunden erhalten unter anderem eine Gutschrift von einem Euro, wenn sie eine Bewertung für einen Artikel schreiben, den sie bei Otto gekauft haben.
    Vorteile bei Partnern: Zusätzlich gibt es für Kunden eine so genannte "Up-Card", über die es "starke Vorteile" bei Partnern wie Kinos geben soll.
    Keine Versandkosten: Nutzer des Vorteilsprogramms können sich Bestellungen liefern lassen, ohne dass sie jedes Mal dafür einzeln Versandkosten bezahlen müssen.
So weit, so gut. Doch wirklich überzeugen können diese Services leider nicht. Ganz im Gegenteil:
    Digitales Sparbuch: Ein Bonus von gerade einmal einem Euro dürfte kein allzu großer Anreiz sein, um eine Produktbewertung zu schreiben. Nutzer erhalten zudem maximal zehn Bewertungen vergütet, so dass man durch Rezensionen kein nennenswertes Guthaben ansammeln kann. Dazu stellt sich die Frage, welche Qualität eine Bewertung hat, die mit Geld incentiviert wird. Die besten Bewertungen entstehen in der Regel, wenn Kunden ein Mitteilungsbedürfnis haben und ein Produkt besonders gut oder schlecht empfinden. Vergütungen gibt es zudem nur für Artikel, die von Otto direkt stammen. Wenn ein Partner das Produkt verkauft, gibt es kein Incentive. Das ist umso unverständlicher, da Otto zunehmend externe Partner auf seine Plattform holt   und immer mehr Drittanbieter bei Otto verkaufen.
    Vorteile bei Partnern: Am Up-Programm nehmen alle Kunden automatisch teil, die bereits bei Otto kaufen oder jetzt zum ersten Mal dort bestellen. Um Ermäßigungen bei Partnern wie vergünstigte Kino-Karten nutzen zu können, müssen Kunden ihre Karte aber beim Partner vor Ort vorlegen. Wie man die Karte bekommt, verrät Otto nicht. Im Shop steht nur, dass Neukunden nach der ersten Bestellung eine digitale Karte freigeschaltet bekommen. Bestehende Kunden können diese in ihrem Konto einsehen. Dort sieht man aber nur ein Bild einer Kundenkarte.
    Keine Versandkosten: Nutzer des Vorteilsprogramms können sich tatsächlich Bestellungen liefern lassen, ohne dass sie noch Versandkosten bezahlen müssen. Diesen Service gibt es aber nicht automatisch, sondern nur als "Upgrade". Dieses erhalten Neukunden automatisch, bestehende Kunden müssen für die Flatrate 19 Euro jährlich bezahlen. Otto bestraft hier also einmal mehr seine Bestandskunden dafür, dass sie bereits bei Otto einkaufen. Besonders verkopft: Um die Liefer-Flatrate nutzen zu können, muss man ein Paket bestellen mit einer Lieferzeit von zwei bis vier Werktagen (!). Digital abschließen lässt sich die Flatrate nicht. Wer das Paket als Bestandskunde ordert, muss automatisch 5,95 Porto bezahlen. Das Porto lässt sich nur sparen, wenn man einen Gutschein-Code eingibt. Im Paket ist auch ein Code enthalten, den Kunden bei jeder Bestellung angeben müssen. Wer das vergisst, zahlt trotzdem das Porto.
Patrick Palombo
Patrick Palombo (Bild: eigenes Foto)
Kein Wunder, dass sich auch andere Marktbeobachter verwundert die Augen reiben. "Während Amazon seinen Prime-Service langsam einführte und sukzessive um Mehrwerte wie Film oder Musik ergänzte, verwirrt Otto den Kunden schon bei der Einführung", analysiert der auf Online- und Multichannel-Handel spezialisierte Berater Patrick Palombo   (siehe Foto). Sein vernichtendes Fazit: "Transparenz und klares Marketing geht anders." Zustimmung erntet er von E-Commerce-Unternehmer Ralph Hesse   , der unter anderem im Jahr 2000 den auf Fotobücher spezialisierten Online-Händler Fotokasten   mitgegründet hat und heute ebenfalls E-Commerce-Berater ist. "Für einen Online-Händler gibt es nichts wichtigeres als wiederkehrende Kunden, daher ist ein Programm zur Kunden-Bindung immer zu begrüßen", weiß Hesse. "Leider bietet Otto hier recht wenig. Das Amazon Prime Programm ist zwar um einiges teurer, es bietet jedoch auch viel mehr."
Ralph Hesse
Ralph Hesse (Bild: eigenes Foto)
Seiner Analyse nach bewirbt Otto bei seinem Up-Programm jetzt zudem Vorteile, die es auch vorher schon bei den Hamburgern gegeben hat. Und tatsächlich ist im Werbevideo zu "Otto Up" unter anderem zu sehen, dass Otto mit Vorteilen wie Beratung, Ratenzahlung und kostenlosen Retouren wirbt. Diese Services sind nun wirklich nicht neu und Otto-Standard. "Otto Up sieht aus wie die totale Kapitulation vor Amazon und seinem extrem erfolgreichem Prime-Programm", sagt Hesse. "Otto hat so keine ernsthafte Möglichkeit mehr, für Amazon eine Gefahr zu werden." Zum Vergleich: Die Mitgliedschaft bei "Amazon Prime" kostet derzeit 69 Euro im Jahr. Mitglieder bekommen Pakete versandkostenfrei, was sonst erst ab einem Bestellwert von 29 Euro der Fall ist. Kunden können zudem kostenlos Filme und Serien im Video-Stream sehen. Dazu gibt es kostenlos ein eBook pro Monat für den hauseigenen eBook-Reader Kindle sowie kostenloses Musik-Streaming.
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