Amazon Wardrobe: Killer-Feature oder alter Wein in neuen Schläuchen?

„Erst anprobieren, dann zahlen“: Unter diesem Motto bietet Amazon seit dieser Woche auch erstmals in Deutschland seinen Service „Amazon Wardrobe“ an, der Kunden in den USA bereits seit zwei Jahren zur Verfügung steht. Mit dem Wardrobe-Service will Amazon das Mode-Shopping für Verbraucher bei Amazon komfortabler machen, da der neue Dienst „das Anprobieren vor dem Bezahlen ermöglicht“.

Amazon Wardrobe
Die Versandtasche von Wardrobe (Bild: Amazon)

Und das geht so: Prime-Mitglieder von Amazon finden ausgewählte Mode auf amazon.de/primewardrobe, wo sie zwischen zwei und sechs Artikel pro Order aussuchen können. Anschließend kommt die Bestellung zum Kunden in einer einzigen Versandtasche nach Hause (siehe Foto), wo er die Ware sieben Tage zu Hause anprobieren kann. Danach müssen Kunden wählen, welche Artikel sie behalten möchten und welche ihnen doch nicht gefallen.

Was nicht gefällt, kommt wieder in die Versandtasche und geht zurück an Amazon. Für die Rücksendung liegt ein Retouren-Label bei.

Die gewünschten Artikel aus ihrer Wardrobe-Bestellung zahlen Kunden per Lastschrift oder Kreditkarte. Ein Kauf auf Rechnung wird dagegen kurioserweise nicht akzeptiert. Dabei wird der Rechnungskauf von Kunden im Versandhandel bereits seit Jahrzehnten genutzt, wenn sie Bekleidung bestellen. So können Verbraucher schließlich einen Artikel in verschiedenen Größen oder Farben ordern, um zu Hause eine Auswahl zu treffen. Bezahlt wird dann ebenfalls per Rechnung das, was Kunden auch behalten wollen.

Selbst bei Amazon können Kunden ja schon länger Mode bestellen und die Ware später per Rechnung bezahlen. Wenn Verbraucher dabei Artikel aus einer Bestellung zurücksenden oder stornieren, schreibt Amazon diese Artikel der Monatsabrechnung gut. Daher stellt sich also zwangsläufig die Frage, welchen Mehrwert denn Amazon mit seinem neuen Wardrobe-Service überhaupt den Kunden bieten will. Zumal sich längst nicht alle Mode-Artikel von Amazon.de hierüber bestellen lassen, sondern nur eine Auswahl von Fashion-Angeboten. Und diese können dann wiederum nur Prime-Mitglieder von Amazon ordern.

Vor diesem Hintergrund sehen jetzt Branchen-Experten in dem neuen Service kaum etwas, mit dem Amazon nun einen Mehrwert bieten kann – wobei es auch Fürsprecher für Amazon Wardrobe gibt:

Patrick Palombo
Patrick Palombo (Bild: eigenes Foto)

„Ich halte den neuen Service „Amazon Wardrobe“ für alten Wein in neuen Schläuchen. Diesen Service haben die klassischen Versender vor bereits rund 40 Jahren erfunden. Seitdem kaufen Kunden zum Beispiel schon lange sechs Kleidungsstücke auf Rechnung, probieren sie dann zu Hause an, senden fünf Artikel an den Versender zurück und zahlen nach 14 Tagen die Rechnung für einen Artikel. Was macht Amazon anders?“

Patrick Palombo, Berater und Interimsmanager für E-Commerce und Multichannel-Handel

Thomas Lang
Thomas Lang (Bild: Carpathia AG)

„Mit der Entkoppelung von Bestellung und Bezahlung bringt Amazon die Umkleidekabine entspannt nach Hause – ohne den Druck, vorgängig schon bezahlt zu haben oder mindestens die Kreditkarte mit dem vollen Transaktionsbetrag belastet zu haben. Mutmaßlich wird dies zu höheren Einkäufen führen, weil die Emotionen und die Artikel ja schon zu Hause im eigenen sozialen Umfeld sind, also auch sogleich verfügbar.“

Thomas Lang, Inhaber der E-Commerce-Beratung Carpathia

Thomas Steck
Thomas Steck (Bild: Otto Group)

„Viele Beobachter und Branchen-Experten sehen in der neuen Offensive schon die nächste Disruption des E-Commerce kommen. Doch wenn Experten jetzt das Prinzip „erst anprobieren, dann bezahlen“ zur nächsten disruptiven Innovation des Distanzhandels ausrufen, freuen wir uns bei Otto sehr, bereits seit 1950 an der Spitze dieser avantgardistischen Bewegung zu stehen. Schließlich basiert dieses Prinzip auf der seit Jahrzehnten beliebtesten Zahlmethode: dem Kauf auf Rechnung.“

Thomas Steck, Direktor Kundenservice & Logistik bei Otto

Amazon selbst nennt auf Nachfrage von neuhandeln.de als Mehrwert für die Kunden, dass Sendungen in einer wiederverschließbaren Versandtasche mit vorfrankiertem Rücksendeetikett geliefert werden, was „den Retouren-Prozess noch einfacher“ mache. Im Falle Amazon mag das stimmen. Wenn Kunden hier nämlich Ware ordern, können die Artikel von verschiedenen Anbietern stammen und in mehreren Paketen geliefert werden. Einen Retourenschein muss man dabei von Marktplatz-Händlern bisweilen auch erst anfordern, wenn er nicht dem Paket beiliegt. Bei anderen Mode-Versendern ist es aber durchaus üblich, dass Ware in einem einzigen Paket kommt, das sich dann auch für die Retoure nutzen lässt – schlaflose Nächte sollte der Service „Amazon Wardrobe“ der Konkurrenz daher nicht bereiten.

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