Handelsexperte Heinemann: "Marktplatz-Fieber vernebelt die Sinne"
26.06.2017
Marktplätze sind das Schwierigste, was man gründen kann
Völlig im Kontrast zum Traum vom schnellen Marktplatz-Glück ist das, was die Erfahrung aus der VC-Szene sagt. Marktplätze erfolgreich zu starten, gilt unter Inkubatoren gemeinläufig als mit das Schwierigste, was man im Internet versuchen kann. Und ohne eine extreme Spezialisierung oder einen ergänzenden "Frequenz-Treiber" gelten derartige Modelle alles andere als erfolgsträchtig. Erfolgreiche Marktplätze wurden deswegen eigentlich auch nicht als "Pure Marktplatz", sondern immer in Kombination mit einem "Killer-Feature" und "Killer-Services" angeboten. eBay etwa konnte den Marktplatz nur über das Auktionsgeschäft aufbauen. Amazon bietet die mit Abstand größte Sortimentsauswahl und gilt als "Produktsuchmaschine", die mittlerweile mehr produktbezogene Suchanfragen generiert als Google. Insofern wird empfohlen, die Geschäftsidee vom Marktplatz und grenzenlosen digitalen Glück noch einmal ganz genau zu überlegen und zu prüfen.Reichweite: Woher nehmen, wenn nicht stehlen?
Neben Killer-Features und Killer-Services entscheidet dann noch die Frequenz über Erfolg und Misserfolg eines Online-Marktplatzes. Realistisch betrachtet bietet hier in Deutschland derzeit vermutlich nur Zalando ausreichend Potenzial. Doch in den Kundenstamm von mehr als 20 Millionen aktiven Kunden ist auch der größte Teil der milliardenschweren Aufbauinvestitionen geflossen. Neue Marktplätze müssten also massiv in Werbung investieren, um schnell eine relevante Reichweite aufzubauen. Doch hier ergibt sich schon das nächste Problem. Denn durch Werbung generierte Reichweite wirkt nur dann nachhaltig, wenn es beim Besuch des Portals keine Enttäuschung gibt. Damit droht ein Teufelskreis: Denn wieso sollten potenzielle Marktplatzpartner selbstlos neue Marktplatzalternativen anfüttern, wenn diese noch keine attraktiven Reichweiten bieten können?Um einen Standalone-fähigen Shop führt kein Weg vorbei
Ein weiteres Problem ist, dass "angegliederte" Online-Marktplatzmodelle häufig den Ansatz verfolgen, keine Konkurrenten und ihre Produkte zu präsentieren. Die Präsenz von anderen Filialisten gleicher Warengattung wird äußerst kritisch gesehen, obwohl diese vielleicht die Magneten für den Marktplatz sein könnten. Bei Verzicht auf Konkurrenz und einer zu starken Begrenzung des Angebots droht einem Marktplatz zusätzlich das schnelle Scheitern. Den Kunden fehlt ein ausreichend großes Sortiment - und damit der Anreiz, das Portal zu besuchen. Zudem zeigt sich häufig, dass Händler auf ihren Marktplätzen dieselben Produkte anbieten wie Amazon und eBay - in der Regel allerdings teurer als diese. Was also tun? Auch wenn stationäre Händler und Verbundgruppen es nicht glauben wollen und der Traum vom schnellen digitalen Glück vielleicht den Blick auf die Realität etwas vernebelt: Um einen exzellenten und standalone-fähigen Online Shop führt kein Weg und keine Investition vorbei. Erst danach wird dieser marktplatzfähig, so wie es jetzt Zalando und vielleicht Otto sein dürften. Über den Autor: Prof. Dr. Gerrit Heinemann (siehe Foto) leitet das eWeb Research Center der Hochschule Niederrhein , wo er auch BWL, Managementlehre und Handel lehrt. Zuvor war er rund 20 Jahre in leitenden Positionen im Handel tätig. Heinemann ist Gastprofessor am Management Centrum Innsbruck und an der Leipzig School of Media sowie Autor zahlreicher Fachbücher zu den Themen Digitalisierung, E-Commerce, Online- und Multi-Channel-Handel.Basis
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