Kreativität oder Relevanz: das Spannungsfeld zwischen generativer und prädiktiver KI
Gastbeitrag von Alban Villani, CEO, EU & Asia bei Epsilon
Erfolgreiche Werbekampagnen werden in Zukunft sowohl generative als auch prädiktive künstliche Intelligenz kombinieren.

Generative künstliche Intelligenz (KI) revolutioniert derzeit die Content-Erstellung und deckt inzwischen sämtliche Inhalte von Text und Bildern bis hin zu komplexen Videos ab. Tools wie ChatGPT, LeChat und DeepSeek transformieren schon jetzt ganze Bereiche; die Werbebranche ist da keine Ausnahme.
Ein Beispiel ist die Weihnachtskampagne 2024 von Coca-Cola. Das Unternehmen setzte KI ein, um seine ikonischen 'Holidays Are Coming'-Trucks neu zu interpretieren. Und lieferte damit den Beleg dafür, dass KI durchaus in der Lage ist, Neues zu schaffen und gleichzeitig in der Tradition verwurzelt zu bleiben.
Anwendungen wie diese sind beeindruckend, aber sie machen auch eine wichtige Einschränkung deutlich: Generativer KI fehlt es oft an der persönlichen Note. Während bei klassischen Kampagnen mit KI-Unterstützung die visuellen Effekte durchaus faszinieren, besteht das eigentliche Versprechen von generativer KI darin, personalisierte Erlebnisse zu schaffen: maßgeschneiderte Momente, die die Verbraucher mit etwas völlig Neuem überraschen und ihren Alltag bereichern.
Gefangen in der Filterblase
Trotz ihres großen Potenzials bringt generative KI im Marketing-Bereich nämlich auch erhebliche Herausforderungen mit sich. Vor allem, wenn es um die Erstellung von Inhalten geht, die von einer bestimmten Zielgruppe als authentisch und relevant empfunden werden sollen. Denn der Output generativer KI ist stark abhängig von den Trainingsdaten. Sind diese inkonsistent oder zu weit gefasst, dann entsteht Content, der schnell generisch, unsensibel oder irrelevant wirkt.
Bei der aktuellen Entwicklung besteht zudem das Risiko, dass KI in einer Endlosschleife stecken bleibt: Nutzer bekommen Inhalte angezeigt, die auf begrenzten Daten zu früheren Verhaltensweisen und Interaktionen basieren. Dadurch werden bereits bestehende Präferenzen weiter verstärkt; es bleibt kein Raum für Neues und innovative Ideen. Aufgrund dieser fehlenden Dynamik wirken Anzeigen eintönig und losgelöst von aufkommenden Trends, was die Kreativität hemmt und einer langfristigen Relevanz im Weg steht.
Ein Beispiel: Eine KI-gestützte Ad-Plattform sieht, dass ein Benutzer sich über Luxusmode informiert hat, und bietet weitere dazu passende Anzeigen an - etwa von Chanel oder Louis Vuitton -, weil bei diesen Präferenzen von einer höheren Konversionsrate auszugehen ist. Kurzfristig mag das durchaus relevant sein. Allerdings hat die KI keinen Zugriff auf umfangreichere Daten zur digitalen Identität des Nutzers und ist daher nicht in der Lage, eine Weiterentwicklung seines persönlichen Geschmacks vorherzusagen, etwa ein wachsendes Interesse an mehr Nachhaltigkeit oder an Indie-Mode. Der Benutzer bleibt schließlich in einer Filterblase von High-End-Marken gefangen und erfährt so nichts über neue Trends oder andere kreative Angebote.
Hoffnungsträger prädiktive KI
Wegen dieses Risikos der Filterblase sind Ökosysteme wie Retail Media so wichtig, die auf First-Party-Daten basieren und robuste ID-Signale nutzen - etwa mit ID-Lösungen wie Epsilons
COREid, das für eine geräte- und kanalübergreifend einheitliche Kundenidentifikation sorgt. Eine solche zuverlässige Identity Resolution bildet die wichtige Basis für erfolgreiche programmatische Kampagnen.
Denn auf einer soliden Datengrundlage ist prädiktive KI in der Lage, ID-Signale in konkrete Maßnahmen zu verwandeln, sodass Marken präzise und effizient mit den richtigen Zielpersonen interagieren können. Generative KI spielt dabei seine Stärken in der Erstellung von Inhalten aus, unterstützt durch prädiktive KI, die Daten analysiert, Muster erkennt und Ergebnisse vorhersagt.
Durch die Verknüpfung von historischen Daten mit individuellen Kundenprofilen sorgt prädiktive KI zum Beispiel dafür, dass die generierten Inhalte auch relevant sind und den Empfänger zur richtigen Zeit erreichen. Sie identifiziert Verhaltensweisen, Vorlieben und Kaufabsichten, damit Marketer Kundenbedürfnisse schon antizipieren können. Bei diesem datengestützten Ansatz liegt der Schwerpunkt auf individuellen Nuancen. Dadurch wird die Effektivität der Kampagnen maximiert und es entstehen kanalübergreifend einheitliche Interaktionen.
Performance-Optimierung ist eine weitere Stärke prädiktiver KI. Sie kann das Erfolgspotenzial von generativen Assets schon vor deren Bereitstellung ermitteln und die Erfolgschancen kontinuierlich unter Berücksichtigung von Zielen und Budgets neu beurteilen. Beispielsweise ist sie in der Lage, die Click-Through- und Konversionsrate anhand von Verlaufsdaten zu prognostizieren, sodass Marketingfachleute Assets mit hoher Performance priorisieren und ihre Strategien in Echtzeit anpassen können.
Die Brücke zwischen Kunst und Wissenschaft schlagen
Sobald ein robustes Framework für Identitäten, Daten und prädiktive Automatisierung vorhanden ist, lassen sich die kreativen Möglichkeiten von generativer KI voll ausschöpfen. Angesichts der zunehmenden Nutzung von "agentischer KI" werden Marketer künftig verstärkt nach Möglichkeiten suchen, vollständige Werbeanzeigen - von Texten über Grafiken bis hin zum CTA - automatisch erstellen zu lassen, um damit zeitnah auf unerwartete Ereignisse, Sportergebnisse oder Wetteränderungen zu reagieren. Die Lösungen, die derzeit entwickelt werden, werden vorhersagen können, welche Kreativelemente dabei die größte emotionale Wirkung haben.
Allerdings müssen diese Kampagnen dann auch in der Lage sein, Veränderungen bei den Werten, Präferenzen und Verhaltensweisen der Kunden sowie kulturelle Verschiebungen dynamisch zu berücksichtigen, anstatt sich nur innerhalb der engen Grenzen bisheriger Kundeninteraktionen zu bewegen.
In einem realen Kontext würde die Integration einer First-Party-ID-Lösung es der KI ermöglichen, die sich entwickelnde Identität des Nutzers besser zu verstehen - beispielsweise ein wachsendes Interesse an umweltfreundlichen Modemarken aufgrund einer verstärkten kulturellen Betonung des Themas Nachhaltigkeit. Anhand dieser Erkenntnisse könnte die KI bestimmte Marken oder lokale nachhaltige Designer in den Vordergrund rücken und innovative Anzeigen mit hoher Relevanz pushen - und dabei zugleich kreative Grenzen ausreizen.
KI wird mit Sicherheit die Werbebranche transformieren. Der Erfolg solcher Lösungen bleibt jedoch davon abhängig, auf welchem Fundament sie gegründet sind. Mit identitätsgesteuerter KI können Marketer die Einblicke aus Verhaltensprognosen, Stimmungsanalysen und emotionaler Resonanz umfassend nutzen. Zukünftige Kampagnen werden sowohl von prädiktiver als auch generativer KI profitieren und innovative Werbung schaffen, die Menschen auf zutiefst persönlicher Ebene anspricht.
Marketingfachleute, die die neuen Chancen optimal nutzen wollen, müssen über die kurzfristigen Vorteile automatisierter Content-Erstellung hinausblicken und sicherstellen, dass ihre KI über eine solide Grundlage verfügt. Nur dann werden sie langfristig für überzeugende Personalisierung sorgen und ihren Wettbewerbsvorteil halten können.