Interview

"Die Hürden für den Onlinehandel sind aktuell so hoch wie selten zuvor"

von Joachim Graf

26.11.2024 Jörg Glinka, Geschäftsführer von Etailer Solutions spricht im Interview über Composable Commerce, Open-Source-Technologien und KI für Shopbetreibende.

Jörg Glinka, Geschäftsführer etailer Solutions GmbH
Jörg Glinka , Geschäftsführer von Etailer Solutions   spricht in unserem Interview über Composable Commerce, Open-Source-Technologien und KI für Shopbetreibende.

Welche Rolle spielt Composable Commerce in der Zukunft des Onlinehandels?

Composable Commerce ist zweifellos ein faszinierender Ansatz, der durch seine Modularität und Flexibilität viel Potenzial bietet. Besonders für Unternehmen mit sehr spezifischen Anforderungen kann dieser Ansatz große Vorteile bringen. Dennoch gibt es auch Herausforderungen, die nicht außer Acht gelassen werden sollten.

Eine vollständig composable Architektur erfordert die Integration zahlreicher Systeme, was unweigerlich zu einer erhöhten Komplexität führt. Je mehr Schnittstellen und unabhängige Systeme in einer Infrastruktur vorhanden sind, desto größer ist das Risiko von Fehlern, Inkonsistenzen und erhöhtem Wartungsaufwand. Ein zentrales Problem dabei ist, dass die Abstimmung zwischen verschiedenen Systemen nicht immer reibungslos funktioniert - und diese Reibungsverluste können am Ende sowohl die Effizienz als auch die Nutzererfahrung beeinträchtigen.

Aus meiner Sicht bietet ein anpassbarer Monolith - also eine ECommerce-Plattform, die modular aufgebaut ist, aber dennoch als einheitliches System betrieben wird - in vielen Fällen die bessere Lösung. Ein solcher Ansatz kombiniert die Vorteile einer soliden, stabilen Basis mit der Möglichkeit, externe Systeme leicht und flexibel anzubinden. Gleichzeitig wird das Risiko von Kompatibilitätsproblemen reduziert, und die Gesamtarchitektur bleibt übersichtlicher und wartungsfreundlicher.

Ein gutes Beispiel für diese Diskussion ist die Entscheidung von Amazon, in bestimmten Bereichen wieder von einer reinen Microservices-Architektur zurück zum Monolithen zu wechseln. Der Grund: Ein Monolith kann in vielen Szenarien einfacher und effizienter zu betreiben sein, insbesondere wenn Stabilität und Geschwindigkeit im Vordergrund stehen. Für den Großteil der Unternehmen ist daher eine flexible, aber konsolidierte Plattform - die sich nahtlos mit Fremdsystemen verbinden lässt - die ideale Lösung. Sie bietet die nötige Stabilität für den täglichen Betrieb und zugleich die Flexibilität, auf zukünftige Anforderungen zu reagieren.


Welche Rolle spielt Open-Source-Technologie im deutschsprachigen E-Commerce aktuell - und wie wird sich das in den kommenden Jahren verändern?

Open-Source-Technologie spielt im deutschsprachigen E-Commerce eine zunehmend wichtige Rolle. Sie ermöglicht Unternehmen, innovative Lösungen kosteneffizient zu entwickeln und gleichzeitig von einer breiten Entwickler-Community zu profitieren. Gerade im Kontext von 'Best of Breed' - also der Auswahl der jeweils besten Komponenten für spezifische Anforderungen - erweist sich Open Source als besonders wertvoll.

Ein weiterer Vorteil von Open Source ist die Transparenz, die es Unternehmen erlaubt, tiefen Einblick in die verwendeten Technologien zu erhalten. Das wird vor dem Hintergrund neuer gesetzlicher Regelungen, wie der in Deutschland geplanten Haftung von Softwareunternehmen für Fehler, noch relevanter. Unternehmen müssen sicherstellen, dass ihre Software nicht nur leistungsfähig, sondern auch rechtlich und technisch einwandfrei ist. Open Source kann hier einen wichtigen Beitrag leisten, indem es eine überprüfbare und oft gut dokumentierte Grundlage für Softwarelösungen bietet.

Was den Stellenmarkt betrifft, wird sich in den kommenden Jahren ein klarer Trend abzeichnen: Die Nachfrage nach Entwicklern mit tiefem Verständnis von Open Source Technologien, DevOps-Praktiken und rechtlichen Anforderungen an Software wird steigen. Gleichzeitig wird die Verantwortung von Unternehmen für ihre eingesetzten Lösungen dazu führen, dass spezialisierte Rollen wie Compliance-Experten und Security-Ingenieure wichtiger werden.

Der E-Commerce-Sektor in Deutschland wird somit nicht nur technologisch, sondern auch personell einen Wandel erleben, um den steigenden Anforderungen an Qualität, Sicherheit und gesetzliche Konformität gerecht zu werden. Open-Source-Technologie wird dabei eine zentrale Rolle spielen - sowohl als Innovationstreiber als auch als Grundlage für robuste und gesetzeskonforme Lösungen.


Wie kann man mithilfe von Künstlicher Intelligenz seine Internationalisierung vorantreiben? Und wie vermeidet man das Problem, dass ein guter fremdsprachiger Onlineshop ja lokalisiert - und nicht nur übersetzt - werden sollte?

Die Internationalisierung eines Onlineshops ist eine strategisch wichtige, aber auch herausfordernde Aufgabe. Künstliche Intelligenz (KI) kann hierbei eine entscheidende Rolle spielen, sowohl um die Prozesse zu beschleunigen als auch um die Qualität zu sichern. Der Schlüssel liegt dabei darin, Übersetzung und Lokalisierung miteinander zu kombinieren, um nicht nur sprachlich korrekt, sondern auch kulturell und regional angepasst zu agieren.
  1. Übersetzungen effizient managen : Bei Etailer setzen wir für Übersetzungen auf eine Anbindung zur bewährten Technologie von DeepL. Diese Integration erleichtert den Übersetzungsprozess erheblich und reduziert gleichzeitig die Kosten. Mit DeepL können Produktbeschreibungen, Attribute, Kategorien und andere Inhalte mit hoher Sprachqualität in die Zielsprachen übersetzt werden. Die KI lernt dabei kontinuierlich dazu, sodass die Ergebnisse immer präziser und kontextbezogener werden.

  2. Lokalisierung statt bloßer Übersetzung: Übersetzung allein reicht nicht aus, um internationale Kunden zu überzeugen. Lokalisierung bedeutet, Inhalte an die jeweilige Kultur, rechtliche Anforderungen und Kundenbedürfnisse anzupassen. Das umfasst unter anderem die Anpassung von Maßeinheiten, Währungen und Datumsformaten, die Berücksichtigung lokaler Suchbegriffe und SEO-Strategien sowie die Abstimmung auf kulturelle Unterschiede, z. B. bei Bildern, Farbsymbolik oder Stilistik.

  3. SEO und Produktinformationen optimieren: Für SEO-relevante Aufgaben nutzen wir bei Etailer eine direkte Schnittstelle zu ChatGPT. Mit dieser Technologie können wir gezielt Keywords in fremdsprachigen Märkten identifizieren und Texte entsprechend optimieren. Das hilft nicht nur, die Sichtbarkeit in Suchmaschinen zu verbessern, sondern auch, die Nutzererfahrung zu steigern.

  4. KI für Marktanalysen nutzen: Neben Übersetzung und Lokalisierung kann KI auch dabei helfen, neue Märkte zu analysieren und potenzielle Zielgruppen besser zu verstehen. Tools zur Sentiment-Analyse und Dateninterpretation ermöglichen es, Kundenpräferenzen und Trends in verschiedenen Ländern zu identifizieren und die Marketingstrategien entsprechend anzupassen.

KI ist ein unverzichtbares Werkzeug, um die Internationalisierung eines Onlineshops effizient und kosteneffektiv voranzutreiben. Mit Technologien wie DeepL und ChatGPT lassen sich nicht nur Übersetzungen und Lokalisierungen auf hohem Niveau realisieren, sondern auch SEO und Produktinformationen optimieren. Der Erfolg liegt jedoch darin, die KI-gestützten Prozesse gezielt mit lokaler Expertise zu kombinieren, um kulturelle und regionale Feinheiten zu berücksichtigen und die Zielmärkte optimal zu bedienen.


Welche Herausforderungen sehen Sie für Shopbetreibende konkret in den kommenden neun Monaten?

Die Hürden für den Onlinehandel sind aktuell so hoch wie selten zuvor. Shopbetreibende stehen vor einer Vielzahl von Herausforderungen, die sowohl aus der wirtschaftlichen Lage als auch aus regulatorischen und wettbewerblichen Entwicklungen resultieren.

Gesetzliche Vorgaben wie die GPSR (General Product Safety Regulation) oder das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) stellen Onlinehändler vor komplexe Aufgaben. Sie müssen sicherstellen, dass ihre Produkte und Verkaufsplattformen diesen Standards entsprechen - etwa durch detaillierte Produktinformationen, sichere Lieferketten und barrierefreie Website-Designs. Die Umsetzung solcher Maßnahmen ist oft mit erheblichen Ressourcenaufwänden und Kosten verbunden.

Die aktuelle wirtschaftliche Unsicherheit, geprägt durch Inflation, steigende Energiekosten und vorsichtige Konsumenten, setzt viele Shopbetreiber unter Druck. Kunden achten vermehrt auf Preise, und die Margen schrumpfen. Gleichzeitig steigen die Betriebskosten, was die Rentabilität vieler Shops gefährdet.

Plattformen wie Temu, Shein und Alibaba verschärfen den Wettbewerb erheblich. Diese Anbieter überzeugen durch extrem günstige Preise und ein nahezu unbegrenztes Sortiment, was insbesondere kleinere und mittelgroße Shops in eine schwierige Position bringt. Der Druck, konkurrenzfähig zu bleiben, wächst - sowohl bei der Preisgestaltung als auch bei der Kundenerfahrung.

Zudem erwartet die Kundschaft eine immer bessere Nutzererfahrung, schnellere Lieferzeiten und personalisierte Angebote. Für Shopbetreibende bedeutet das Investitionen in Technologien wie KI, Automatisierung und moderne Shop-Plattformen, um mit der Konkurrenz mithalten zu können. Gleichzeitig bleibt die Wartung und Weiterentwicklung dieser Technologien eine dauerhafte Herausforderung.

Und dann ist da noch das Thema Nachhaltigkeit, das immer mehr zu einem Entscheidungskriterium für die Menschen wird. Unternehmen stehen unter Druck, ihre Lieferketten transparenter und nachhaltiger zu gestalten, was nicht nur organisatorische, sondern auch finanzielle Herausforderungen mit sich bringt.

Die kommenden neun Monate werden für viele Shopbetreiber eine kritische Phase, in der Flexibilität und Innovationskraft entscheidend sind. Die Fähigkeit, auf regulatorische Anforderungen einzugehen, wettbewerbsfähig zu bleiben und gleichzeitig die wirtschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen, wird darüber entscheiden, wer sich im Markt behaupten kann. Plattformen, die rechtliche Vorgaben und technologische Innovationen effektiv vereinen, können dabei eine wichtige Unterstützung bieten.


Sie sind zum 1. Oktober als Sponsor bei Neuhandeln eingestiegen. Was versprechen Sie sich davon?

etailer Solutions war bislang eher ein Geheimtipp in der Shoptech-Branche. Die meisten unserer Kunden sind durch Weiterempfehlung auf uns aufmerksam geworden. Wir betreuen ja einige wirklich große Shops. Klassische Werbung oder eine größere öffentliche Präsenz haben wir bisher nicht genutzt - bewusst, da unser Fokus auf der Produktentwicklung und individuellen Kundenlösungen und nicht auf Marketing lag.

Ab 2025 wird sich das jedoch ändern: Wir werden unser Portfolio um ein SaaS-Angebot erweitern und unsere Positionierung entsprechend anpassen. Mit diesem Schritt möchten wir nicht nur neue Zielgruppen ansprechen, sondern uns auch klar als innovative Plattform für den digitalen Handel präsentieren. In diesem Zusammenhang spielt die Steigerung unserer Bekanntheit eine zentrale Rolle.

Die Partnerschaft mit Neuhandeln bietet uns die perfekte Plattform, um unsere Expertise und unsere Vision einem breiteren Publikum vorzustellen. Die Leser von Neuhandeln sind genau die Entscheider und Fachleute, die wir mit unserem neuen Angebot erreichen wollen. Daher sehen wir diese Zusammenarbeit als wichtigen Schritt, um die nächste Phase unseres Wachstums einzuleiten und unsere Marke im Markt zu etablieren.

Wir danken für das Gespräch

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