"Wer den Preis trotz Machine Learning und Künstlicher Intelligenz falsch setzt, verliert Kunden und Ansehen"
07.09.2017 Der richtige Preis entscheidet über Wohl und Wehe im Handel wie auch im Online-Handel. Doch was macht das richtige Pricing aus, was sollten Versandhandelsunternehmen beachten? Der Versandhausberater sprach mit dem Preisstrategen Dr. Tobias Maria Günter, Senior Director im Kompetenzzentrum Handel & Konsumgüter der Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners.
Versandhausberater: Wie kalkulieren Unternehmen im Einzelhandel/Onlineshops im Idealfall ihren Preis?Dr. Tobias Maria Günter: Ein Pauschalvorgehen gibt es nicht, weil für jeden Artikel überlegt werden muss, welchen Preis die Kunden bereit sind zu zahlen. Das hängt vom komplexen Zusammenspiel von Wettbewerb und Kundennachfrage ab. Je mehr ein Artikel im Kundenfokus liegt und von vielen Wettbewerbern angeboten wird, desto eher ergibt sich ein am Wettbewerb orientierter Preis. Bei Artikeln, die weniger im Kundenfokus liegen, ergibt sich Preisspielraum nach oben. Hier muss die Preissensitivität der Kunden berücksichtigt werden.
Versandhausberater: Sollten Einzelhändler stationär und online mit unterschiedlichen Preisen operieren?Günter: Generell ist es kritisch zu sehen, wenn unter derselben Retail Brand dieselben Artikel in Abhängigkeit vom Kanal zu unterschiedlichen Preisen angeboten werden, wenn es keine Leistungsunterschiede gibt. Preisunterschiede funktionieren im Wesentlichen nur dann gut, wenn es einen wahrnehmbaren und wichtigen Serviceunterschied als Mehrwert für den Kunden zwischen online und offline gibt.
Versandhausberater: Gibt es im Onlineverkauf hinsichtlich der Preise besondere (Kalkulations-) "Gesetze" oder Regeln? Günter: Ein ganz wichtiger Unterschied zwischen Online- und Offline-Pricing im Handel ist, dass die Preise im Internet oft den "öffentlichen Raum" von Schaufenster und Regal verlassen. Damit ist gemeint, dass nicht jeder Kunde zwangsläufig denselben Preis angezeigt bekommt. Das Stichwort hier ist Dynamic Pricing, womit die für den Nutzer individuell optimierten Preise zu verstehen sind. Diese Preise können je nach Rechenalgorithmus in Abhängigkeit von der Kaufhistorie, der Suchanfrage, der Zeitpunkt oder je nach Smartphone bzw. Laptop variieren. Ganz wichtig ist in diesem Kontext, dass die Technologie der Preisstrategie folgen muss und nicht umgekehrt. Denn wer den Preis trotz Machine Learning und Künstlicher Intelligenz falsch setzt, verliert Kunden und Ansehen.
Versandhausberater: Amazon hat angekündigt (kurz nach der Übernahme von Whole Food) einige Preise bei dem Supermarkt Whole Food zu senken. Wettbewerber sehen darin eine Verdrängungs-Strategie. Welche Strategie könnte sich dahinter verbergen? Günter: Das Beispiel der sehr selektiven Preisreduktion von Whole Foods unter der Führung von Amazon zeigt genau auf, wie effektiv die reine Preiskommunikation sein kann. Alle reden darüber und Whole Foods erscheint nun im Organics-Sortiment günstiger. Will man aber nun einen objektiven Preisvergleich beispielsweise mit Walmarts Organic-Sortiment durchführen, stellt man schnell fest, dass es einen vergleichbaren Warenkorb aufgrund der unterschiedlichen Sortimentsbreite und -tiefe eigentlich nicht gibt. Aber was hängen bleibt, ist die Meldung von gesenkten Preisen bei Whole Foods. Mich würde es nicht wundern, dass diese Meldung einen positiven Frequenz-Effekt auslösen kann, welcher dann auch zu den oben erläuterten Cross-Selling-Effekten führen kann. Vielleicht hat Whole Foods die Preise auch deshalb gesenkt, weil sie selbst für die Zielgruppe einfach zu hoch waren.
Lesen Sie das komplette Interview im aktuellen Versandhausberater vom 8. September 2017
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