Pilot Radar

Studie: Krisen führen zu Revival des Cocoonings

von Dominik Grollmann

13.09.2022 Die 40. Welle der Radar-Studienreihe von der Agenturgruppe pilot zeigt: Junge Menschen blicken am optimistischsten in die Zukunft, die Konsumeinstellung verändert sich deutlich und die persönliche Bedürfnislage rückt stärker in den Fokus.

 (Bild: shutterstock)
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Es ist wieder Nestbauzeit - und das hängt weniger mit der nahenden kalten Jahreszeit zusammen. Wenn draußen der Krisen-Sturm ums Haus fegt, besinnen sich die Deutschen wieder auf das Cocooning. Auf die Frage, was den Menschen in diesen Zeiten Zuversicht schenkt, nennen vor allem jüngere Zielgruppen ihr familiäres Umfeld oder den Freundeskreis am häufigsten. Immerhin rund 15 Prozent der Jüngeren unter 40 Jahren stimmt die berufliche Entwicklung optimistisch. Dabei zeigt sich zudem, dass die 18- bis 29-Jährigen - trotz aller zukünftigen Belastungen durch Klimakrise oder Staatsverschuldung - mit 78 Prozent deutlich am positivsten in die Zukunft blicken. Der Blick der Deutschen wendet sich allerdings zunehmend nach innen auf die eigene Bedürfnislage. So liegen im Themenranking die Energiekrise (64 Prozent) und Inflation (52 Prozent) klar vorne, während der Ukrainekrieg mit 38 Prozent elf Punkte gegenüber der Vor-Welle verloren hat. Das bis Jahresanfang uneingeschränkte Top-Thema Corona liegt derzeit nur noch bei 7 Prozent.

Preview von Cocooning-Faktor und positive Grundeinstellung über alle Altersgruppen hinweg

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Diese Ergebnisse liefert die aktuelle 40. Welle des pilot Radar   , der vom Marktforschungsinstitut Norstat   erhoben wird. Die Hamburger Agenturgruppe hat die regelmäßige Studienreihe im März 2020 mit Beginn des ersten Corona-Lockdowns gestartet. Der pilot Radar hat dabei gezeigt, dass Menschen in Zeiten der Unsicherheit nach Orientierung suchen - in ihrem engeren sozialen Umfeld, in den Medien und durchaus auch bei Marken. Gleichzeitig wurde deutlich, dass Werbung sowie neue Medientrends (z.B. Clubhouse, Social Shopping, Metaverse) im Leben der Menschen eine weitaus geringere Rolle spielen als sich dies Marketers und Agenturen häufig eingestehen wollen. In diesem Spannungsfeld liefert der pilot Radar regelmäßig wichtige Erkenntnisse für eine erfolgreiche Markenkommunikation in Krisenzeiten.

Gesellschaftlicher Zusammenhalt bereitet große Sorgen

Bei der aktuellen Nachrichtenlage überrascht wohl kaum, dass das Sorgenbarometer der Deutschen wieder nach oben ausschlägt. So zeigen sich 69 Prozent der Radar-Befragten allgemein verunsichert bezüglich der Entwicklung in den nächsten Wochen (Welle 39: 65 Prozent). Das Gefühl eines "andauernden Ausnahmezustands" verstärkt sich ebenso (plus 5 Prozentpunkte auf 55 Prozent) wie die Sorgen um die persönliche finanzielle Situation (71 Prozent). Am heftigsten beschäftigt die Menschen derzeit aber die Versorgungssicherheit in Deutschland (76 Prozent) und die Befürchtung, dass die aktuellen Krisen unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt beschädigen könnten (75 Prozent).

In Korrelation zum Stimmungsabfall nimmt auch die Ausgabebereitschaft weiter ab: Nur noch 40 Prozent der Befragten gaben an, genauso viel Geld ausgeben zu wollen (Welle 39: 45 Prozent) - ein neuer Negativ-Rekord seit Start der Radar-Studie. Im Gegenzug gaben 57 Prozent an, weniger ausgeben zu wollen. Zum Vergleich: In Welle 1 im März 2020 lag dieser Wert bei 45 Prozent. In der Folge sind inzwischen auch 69 Prozent der Befragten der Meinung, dass die aktuellen Krisen die Konsumeinstellung der Deutschen verändern werden (Welle 37, März 2022: 62 Prozent).

In vielen Haushalten regiert der Rotstift

Die Teuerungswelle schlägt auch schon auf den Lebensstandard der Deutschen durch. 77 Prozent der Befragten mit einem Haushaltsnettoeinkommen unter 3.000 Euro gaben an, ihren Lebensstandard bereits gesenkt zu haben. Bei den Besserverdienenden sind dies immerhin schon 58 Prozent. Die Spielräume zum Sparen werden zudem immer knapper. Nur noch 15 Prozent der Geringverdiener legen Geld zurück, um sich auch in den kommenden Monaten den gewohnten Lebensstandard sichern zu können. Bei den Menschen mit über 3000 Euro Haushaltnettoeinkommen ist dies ein Viertel der Befragten.

Preview von Lebensstandard der Deutschen (Mitte 2022)

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Produktrelevanz wird zur notwendigen Bedingung

Wie bereits im April 2021 (Welle 26) wurden in der aktuellen Radar-Befragung wieder Indikatoren der Werbeakzeptanz erhoben. Zur Erklärung: Hygiene-Faktoren sollten als Basisanforderungen in der Konzeption und Umsetzung unbedingt berücksichtigt werden. Dies gilt für die klare Kennzeichnung als Werbung oder den wirksamsten kontextuellen Bezug zum Werbeumfeld. Leistungsfaktoren können Werbewirkung treiben, wenn sie handwerklich gut umgesetzt sind und zur Marke passen, wie beispielsweise die kreative Gestaltung oder Inhalte, die Haltung vermitteln oder auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt Bezug nehmen. Letztere rangieren zwar noch immer hinter der Kreation, haben aber gegenüber April 2021 an Relevanz gewonnen.

Begeisterungsfaktoren schließlich generieren überproportional starke Werbewirkung, wenn die Hygienefaktoren erfüllt und die Leistungsfaktoren ausgeschöpft sind. Hierzu zählen die Vermittlung positiver Emotionen, Rabattkommunikation oder - mit einem besonders starken Relevanz-Zuwachs - der "Bezug auf aktuelle Krisen".

Preview von Wirkungsfaktoren in der Werbung verschieben sich durch Krise

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Im Vergleich zum Lockdown-Zeitraum an Ostern 2021 zeigt sich in dieser Abfrage aber vor allem eine signifikante Veränderung: Der Indikator "wahrgenommene Relevanz des Produkts" hat aus Konsumentensicht stark gewonnen und ist von einem Begeisterungsfaktor zu einem harten Hygienefaktor geworden. Das bedeutet, dass dieses Item zu einer Grundvoraussetzung in der Werbekommunikation geworden und somit unerlässlich ist, damit weitere Faktoren die Chance bekommen, ihre Wirkung zu entfalten. Die angehängte Grafik 3 zeigt auf der horizontalen Achse, um wie viele Prozentpunkte die Relevanz des Items im Vergleich zu April 2021 zu- oder abgenommen hat. Die vertikale Achse zeigt den aktuellen Relevanz-Wert im September 2022 für das entsprechende Item an. Zum Beispiel: Die Vermittlung positiver Emotionen durch die Werbung hat im Vergleich zu April 2021 an Relevanz verloren, ist aber aus Sicht der Befragten weiterhin relevanter als Rabattkommunikation. Beide genannten Aspekte sind Begeisterungs-Faktoren, d.h. sie werden mehr honoriert, wenn sie vorhanden sind, als dass sie vermisst werden, wenn sie nicht vorhanden sind.

Markenkommunikation: Haltung ist kein Schönwetter-Thema

"Auch wenn sich die Grundmuster bei den Wirkungsfaktoren nicht grundlegend verändert haben, erkennen wir in der Entwicklung der Produktrelevanz eine Verschiebung in den Präferenzstrukturen der Verbraucherinnen und Verbraucher weg vom Nice-to-have-Konsum", erklärt Daniel Daimler , Leiter Marktforschung bei pilot. "Dabei ist die Einstellung gegenüber der Rabattkommunikation trotz der zunehmenden Preissensibilität relativ konstant geblieben. Für die Marken bedeutet dies, dass Produkte und Dienstleistungen noch deutlich stärker als bisher ihren Mehrwert im Leben der Menschen kommunizieren müssen, anstatt lediglich als günstiger wahrgenommen zu werden. Um diesen Mehrwert glaubwürdig zu vermitteln, ist neben einer inhaltlichen Ausrichtung, die zur Marke passt, auch eine regelmäßige Präsenz der Kommunikation erforderlich. Letztendlich sind nur sichtbare Marken auch relevante Marken."
Was erwarten die Menschen in diesen Zeiten nun inhaltlich von den Marken? In dieser Analyse zeigen sich einkommensbedingte Unterschiede. So stehen bei Gutsituierten mit einem Haushaltsnettoeinkommen von über 4000 Euro ökologische Themen wie die Bekämpfung des Klimawandels oder die nachhaltige Produktion der Produkte weiterhin im Fokus. Dagegen erwarten Menschen mit geringeren finanziellen Möglichkeiten vor allem Engagement für soziale Gerechtigkeit oder die Unterstützung sozial Benachteiligter. Aber unabhängig vom Einkommen rangieren zwei Themen am Ende der Skala: die Unterstützung der Corona-Maßnahmen sowie von Flüchtlingsprojekten. "Fest steht aber auch: Die Erwartung einer klaren und glaubwürdigen Haltung von Marken und Unternehmen ist kein Schönwetter-Thema, sondern ist auch in Krisen präsent", so Daniel Daimler.
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