Trends 2021 Spezial by Seite 2 Lokale Online-Marktplätze: Die Zukunft der Nische (2/3) Online-Marktplätze Forsetzung von Seite 1 Auf Ebay verkaufen zehn Prozent der kleinen Händler, auf Amazon acht Pro- zent, auf anderen überregionalen Online- Marktplätzen sechs Prozent (Gesamt: sieben Prozent) und auf lokalen Online- Marktplätzen vier Prozent. Mangelnde Traktion und Attraktivität Insgesamt konnten laut der Studie die lokalen Online-Marktplätze gegenüber der Vergleichsstudie 2017 leicht zulegen, was die Nutzung durch Händler betrifft. Dabei wurden sie schon oft totgesagt. Ih- nen mangele es an der nötige Reichwei- te, um für Händler, und dem Sortiment, um für Kunden wirklich relevant zu sein, bemängelt etwa E-Commerce-Experte Gerrit Heinemann, Professor für BWL, Management und Handel an der Hoch- schule Niederrhein in Mönchengladbach und Gründer des eWeb Rersearch Cen- ters. Sein Urteil: "Lokale Marktplätze funktionieren im Internet einfach nicht. Es fehlt ihnen an allem, was das Einkaufen im Internet at- traktiv macht, von der großen Auswahl bis zu den günstigen Preisen." Seien die nötigen technischen Voraussetzungen wie z.B. ein elektronisches Warenwirt- schaftssystem erfüllt, "verkaufen lokale Händler in der Regel bereits erfolg- reich über den Amazon Marktplatz oder Ebay", sagte Heinemann gegenüber dem Versandhausberater. Auch die Unternehmensberatung eStra- tegy Consulting stellt in einer aktuellen Studie ein eher vernichtendes Zeugnis aus und kommt zu der Erkenntnis, dass lokale Marktplätze "aufgrund mangeln- der Traktion durch Kunden und in der Folge mangelnder Attraktivität für teil- nehmende Händler" scheitern. Mehr Registrierungen bei Atalanda und Locamo Doch viele lokale Händler, deren Di- gitalisierungswille in der Coronakrise erwachte, schauten sich auf der Suche nach einem einfachen Einstieg in den E-Commerce auch durchaus in der eige- nen Region um. Atalanda und Locamo, Betreiber von lokalen und regionalen Online-Marktplätzen, berichten von ei- nem regen Zulauf, gefördert auch durch spezielle Corona-Rabatte, dem Erlass von Gebühren - und der Empfehlung von Händlern untereinander. Laut Roland Heimbold, Geschäftsführer von Atalanda, habe sich in den vergan- genen Monaten über alle Plattformen hinweg die Zugriffszahlen "ungefähr verdoppelt" und gleichzeitig wurde "fast zehnmal mehr online verkauft". Heim- bold weiter: "Außerhalb der Pandemie- zeit erzielen wir vor allem die ROPO- Effekte, d.h. die Leute informieren sich online, bevor sie vor Ort einkaufen. Ak- tuell können wir beobachten, dass die Leute mehr online kaufen." Auch Locamo.de konnte profitieren, berichtet Geschäftsführer Markus Kap- ler. Seit dem ersten Lockdown hätten sich zahlreiche neue Händler registriert. "Aktuell verstärkt sich diese Nachfrage wieder deutlich spürbar." Mehr als drei Millionen Produkte sind derzeit gelistet. Beide Marktplatz-Betreiber erwarten ein starkes Weihnachtsgeschäft, Kapler pro- gnostiziert für Locamo gar ein "Rekord- Quartal", befeuert durch Gewinnspiele und Social-Media-Aktionen. Immer noch wittern Händler in Online eher eine Gefahr - weniger eine Chance Die Plattform hofft auf eine langfristige Zusammenarbeit mit den Händlern. Vie- le Konsumenten kaufen in der Corona- Krise zum ersten Mal in einem Online- shop ein und probieren neue Anbieter aus. "Wer es jetzt schafft, diese neuen Zielgruppen zu erreichen, hat auch die Chance, diese Käufer langfristig als Stammkunden zu halten." Noch nutzten jedoch zu wenige der klei- nen und mittelständischen Händler die Digitalisierung für sich. Es sei nach wie vor schwierig, so Kapler, sie davon zu überzeugen, "dass der Onlinehandel kein vorübergehender Trend ist, sondern ein längst nicht mehr wegzudenkender Ver- kaufskanal." Weit verbreitet sei auch die Sicht, "dass von Online eine Gefahr aus- geht". Hier ist noch viel Überzeugungs- arbeit nötig. Eine weitere große Hürde ist die Verfüg- barkeit hochwertiger Daten wie Produkt- bilder und Texte. "Es wäre ein großer Schritt, wenn auch Hersteller es ihren Händlern einfacher machen würden, auf Marktplätzen zu verkaufen, indem sie die dafür notwendigen Artikeldaten zur Verfügung stellen", sagt Kapler. Auch Roland Heimbold bestätigt, dass Pro- duktdaten und Warenwirtschaftssysteme "weiterhin der Flaschenhals für einen schnellen, einfachen und automatisier- ten Austausch der aktuellen Warenange- bote" sind. Er bemängelt zudem: "Nicht wenige Händler sind auch trotz der widrigen Umstände nicht bereit, sich mit ganzem Herzen und voller Motivation auf die Online-Welt einzulassen." Ein Fehler, ergänzt Kapler. Immer mehr Menschen informieren sich und kaufen online, wol- len aber gleichzeitig nicht auf lebendige Innenstädte verzichten. Doch vieles, was vitale Städte ausmache, sei im Lock- down nicht mehr möglich. "Händler, die sich nicht spätestens jetzt mit der Digi- talisierung beschäftigten, werden einen Großteil ihrer Kunden künftig gar nicht mehr erreichen können." Ein Weinhändler traut sich und gewinnt Wie sich diese Beschäftigung auszah- len kann, zeigt Weinfachhändler Klein's Weindepot aus dem niedersächsischen Winsen. Der Laden von Thomas Klein hat sich in den vergangenen Jahren als Adresse für den Weinkauf einen Namen gemacht und eine treue Stammkund- schaft aufgebaut. In der Corona-Krise investierte Klein verstärkt in den Auf- bau seiner Onlinepräsenz, erhöhte sei- ne Social-Media-Aktivitäten, schaltete Internetanzeigen und baute die eigene Shopwebsite aus. Seit April 2020 ist er außerdem auf Locamo vertreten und konnte so nach eigenen Angaben seinen Umsatz "um mehrere Tau- send Euro im Monat stei- gern". Klein baut seitdem seinen Kundenstamm stetig aus, gewinnt auch jüngere Käufer dazu und verkauft mittlerweile an Kunden in ganz Deutsch- land. Sein Beispiel zeige, so Kapler, "dass alle lo- "Die größte Schwierigkeit ist es, die Händler davon zu über- zeugen, dass der Onlinehandel kein vorübergehender Trend ist, sondern ein längst nicht mehr wegzudenkender Ver- kaufskanal." (Markus Kapler, Geschäftsführer, Locamo) Bild: Locamo kalen Händler unabhängig von der Grö- ße des Ladens, der Menge an Produkten oder ihrer bisherigen Erfahrungen im Bereich Onlinehandel ganz leicht pro- fitieren können - es ist einfach nur die richtige Einstellung wichtig." 'Pilotprojekten' zur Belebung der Innen- städte, wie sie etwa am 20. Oktober beim Runden Tisch im Rahmen von Bundes- wirtschaftsminister Peter Altmaier ini- tiierten 'Dialogplattform Einzelhandel' diskutiert wurden. Die Vorteile lokaler Marktplätze Doch was ist der richtige Weg? Amazon und Ebay oder doch lieber lokale Markt- plätze? Andreas Haderlein, LocalCom- merce-Experte und Leiter des Projektbü- ros Cima.Digital, warnt davor, hier Äpfel mit Birnen gleichzusetzen. "Der Vergleich mit Amazon ist das schlimmste, was einem Local-Commer- ce-Infrastrukturgeber passieren kann. Denn keiner kommt auch nur in Ansät- zen der Sortimentsbreite und -tiefe, der Reichweite und der Markenbekanntheit des US-amerikanischen Internetgiganten nahe." Ihm zufolge bieten lokale Online- Marktplätze jedoch spezifische Vorteile: • Zum einen RoPo-Effekte (Research online. Purchase offline), die laut Haderlein entscheidende Erfolgsin- dikatoren sind. Die Sichtbarkeit im organischen Google-Ergebnisindex bei lokal konnotieren Suchanfragen werde so entscheidend verbessert. Neben Handel können auch Dienst- leister, Gastronomie und Hotellerie mit spezifischen Servicefunktionen eingebunden werden (Mittagsme- nüs, Terminvereinbarung, Event- kommunikation etc.) und Reichwei- te steigern helfen. • Die Hoheit über die digitale Infra- struktur liege zumindest stärker im Hoheitsbereich der lokalen Akteure, als es bei einem Vertreter der Gafa- Plattform-Ökonomie der Fall wäre, z.B. im Rahmen der damaligen Ini- tiative Ebay City. Laut Haderlein sei es nur zu begrüßen, wenn es "der eine oder andere Händler im Zuge des lokalen Change Manage- ments schafft, sich mit entsprechendem Know-how und strategischem Weitblick auch auf Ebay oder Amazon zu bewe- gen". Dies kann als einzelbetriebliche Maßnahme durchaus Sinn machen. "Die Teilnahme an lokalen Online-Marktplät- zen ist zuvorderst über den Kooperati- onswillen getriggert." Regionale Online-Marktplätze keine kurzfristige Lösung zur Rettung des Handels Als "schnelle Eingreiftruppe, wenn es dem Handel gerade mal sauschlecht geht", taugen regionale Online-Markt- plätze denn auch nicht, bekräftigt Ha- derlein. Wenig hält er deshalb auch von "Das ist albern und Geschwafel", so Ha- derlein. Längst gebe es genügend Erfah- rungen mit Dutzenden von Local-Com- merce-Projekten. Betriebsindividuelle oder kooperative Digitalisierungsprojek- te seien mittelfristige Investitionen in das Geschäftsmodell oder die Standort- qualität - also keine kurzfristig wirksa- me Notlösung. Haderlein schöpft da aus aus eigener Erfahrung. So wurde einer der ersten regionalen Marktplätze, die Plattform 'Online City Wuppertal', schon 2013/14 umgesetzt. Haderlein begleitete bis 2016 das Projekt, als "Impulsgeber" und Berater. Heute berät und schult er Entscheider in Städten, Regionen und im Handel, wie Werbegemeinschaften oder Citymanagement-Organisationen. Im Corona-Jahr 2020 waren auf der Plattform 'Online City Wuppertal' Ha- derlein zufolge zumindest die dort teil- nehmenden Händler "resilienter aufge- stellt", da die mit Atalanda betriebene Plattform nicht nur Online-Frequenzzu- wächse jenseits von Wuppertal erzeugt habe, "sondern man auch Funktionen wie die kontaktfreie Notversorgung oder Solidargutscheine über die Plattform abwickeln konnte", so Haderlein. "Hät- te uns Corona schon 2015 heimgesucht, wäre auch der Wuppertaler Ansatz in der damaligen Pilotphase weitestgehend wirkungslos geblieben." Denn weder sei die Sortimentsbreite "ei- nigermaßen akzeptabel" gewesen, noch waren genügend Händler mit einer "kri- tischen Anzahl von Produkten" auf dem Marktplatz. "Außerdem hatte der Infra- strukturgeber und heutige Marktführer Atalanda bis dato vielleicht fünf unter- schiedliche Warenwirtschaftssystemen und Online-Shops qua Schnittstelle an den Marktplatz angedockt, heute sind es um die 25." Auch die Kooperations- partner aus Verbundgruppen, Lieferanten und Großhändler, die Produktdaten via Atalanda zur Verfügung stellen, waren 2015 noch überschaubar. Die Entwick- lung eines regionalen Online-Marktplat- zes braucht also einen langen Atem - und einen sensiblen Umgang mit Erwar- tungshaltungen. Konversionrate von zwei bis drei Prozent Es ist schwer zu beziffern, in welchem Maße Händler von lokalen und regiona- len Marktplätzen profitieren und wie sich diese in einem harten Wettbewerbsum- feld bewähren. Fortsetzung auf Seite 3