Marktkonsolidierung droht: Warum viele Online-Pureplayer sterben

90 Prozent der reinen Online-Händler werden nicht überleben: Das prognostiziert jedenfalls das auf E-Commerce und Multichannel spezialisierte Institut für Handelsforschung (IFH). Die Begründung: „Der Markt der Pure Player wird sich aufgrund extrem niedriger Margen konsolidieren“, argumentiert IFH-Geschäftsführer Kai Hudetz. „Es werden sich daher nur diejenigen Pureplay-Konzepte durchsetzen, die Kernkompetenzen optimieren, ein klares Leistungsversprechen gegenüber dem Kunden abgeben und dies dauerhaft erfüllen können.“ Leisten könnten das Hudetz zufolge neben dem übermächtigen Branchenführer Amazon allerdings nur eine Handvoll Online-Händler, die sich als Category-Killer auf einzelne Nischen konzentrieren – wie es etwa die Zooplus AG als Spezialist für Tierbedarf vorlebt.

Kai Hudetz
IFH-Geschäftsführer Kai Hudetz (Bild: IFH Köln)

Die Argumentation von Hudetz (siehe Foto links) klingt schlüssig. Schließlich fördert das Internet eine Monopolisierung im Handel. Denn früher brauchten Kunden vor Ort immer einen Händler in ihrer Nähe, um einkaufen zu können. Im Internet dagegen reicht prinzipiell ein einziger Anbieter, bei dem Kunden dann ja bundesweit bestellen können.

Dumm ist in diesem Zusammenhang allerdings nur, dass sich Amazon als Universalversender positioniert und im Prinzip alles online anbieten will. Streng genommen wäre daher auch ein Category-Killer wie Zooplus überflüssig, weil man Hundefutter ebenfalls bei Amazon ordern kann.

Und dieses Vollsortiment kommt bei den Kunden scheinbar an. Amazon veröffentlicht selbst zwar keine detaillierten Zahlen dazu, wie sich das Geschäft mit eigenen Angeboten und Warenverkäufen von Handelspartnern auf dem deutschen Online-Portal entwickelt. Doch laut einer Marktanalyse des IFH hat Amazon allein im Jahr 2014 einen Umsatz von 7,1 Mrd. Euro mit eigenen Verkäufen erzielt. Addiert man dazu den Umsatz von externen Anbietern auf dem Online-Marktplatz, so komme man auf einen Netto-Umsatz von insgesamt 13,4 Mrd. Euro. Damit wurden laut IFH in Summe bereits 38 Prozent des deutschen Online-Handels im Jahr 2014 auf Amazon.de getätigt, während vier Jahre zuvor der Amazon-Anteil am gesamten deutschen Online-Handel laut IFH-Analyse erst bei 19 Prozent lag (siehe Grafik).

Amazon-Analyse IFH
Amazon konnte in den vergangenen Jahren stark zulegen (Grafik: IFH Köln)

Vor diesem Hintergrund stellt sich zwangsläufig die Frage, wieviel vom deutschen ECommerce-Kuchen eigentlich noch für andere Pureplayer übrig bleibt. Insofern wirkt die These durchaus schlüssig, dass es für die meisten Online-Pureplayer neben Amazon irgendwann schlichtweg keinen Markt mehr gibt.

Die Prognose von IFH-Geschäftsführer Hudetz hat aber einen kleinen Haken. Denn seine Aussagen stammen bereits aus dem Mai 2014, so dass man ja allmählich die Marktbereinigung im E-Commerce spüren müsste. Das meint jetzt jedenfalls Peter Höschl, Gründer und Herausgeber des Online-Portals Shopanbieter.de. Er hat sich in diesen Tagen detailliert im Markt umgehört – und kann überhaupt keine Zeichen für eine Marktbereinigung bei den deutschen Online-Pureplayern erkennen. Im Gegenteil.

Marktteilnehmer sehen bislang keine Marktbereinigung

Peter Höschl
Peter Höschl (Quelle: Shopanbieter.de)

Höschl hat verschiedene Dienstleister für den Online-Handel dazu befragt, wie sie die Stimmung am Markt einschätzen. „Interessant war, dass mir quasi alle versicherten, sie hätten mehr Kunden und mehr Umsatz als zuvor“, berichtet Höschl (siehe Foto links).

Seine Schlussfolgerung daraus: Auch wenn immer wieder Online-Händler durchs Raster fallen, kommen dennoch immer mehr neue Player nach. Bei den sterbenden Händlern würde es sich ihm zufolge zudem vor allem um ganz kleine Player handeln, die Online-Handel als Nebenerwerb betreiben.

Nun kann man über Umfragen immer streiten, da sie letztlich Meinungen widerspiegeln – und keine Fakten. Höschl untermauert seinen Standpunkt daher noch mit Zahlen des ERP-Anbieters Plenty Markets, nach denen der Außenumsatz der an die ERP-Software angeschlossenen Händler in den vergangenen Jahren stark gewachsen ist – sowohl bei Shops mit mehr als zehn Mio. Euro Umsatz als auch bei Anbietern mit weniger als 250.000 Euro Umsatz (siehe Grafik). Berücksichtigt wurden dabei in der Auswertung nur solche Händler, die über den gesamten Zeitraum 2013 bis 2016 aktiv waren – damit das durchschnittliche Wachstum bei den bestehenden Händlern nicht verfälscht wird.

Droht dem deutschen E-Commerce also doch keine Marktbereinigung? Auf Nachfrage verteidigt IFH-Chef Hudetz seine Thesen. Denn ihm zufolge nimmt der Konzentrationsprozes im Online-Handel weiter zu. IFH-Analysen zufolge entfallen auf die einhundert größten deutschen Online-Shops bereits heute gut zwei Drittel des gesamten deutschen Online-Umsatzes – „Tendenz steigend“, beobachtet er.

Plenty Markets Zahlen
Bei Kunden von Plenty Markets brummt das Geschäft (Grafik: Shopanbieter.de)

Dazu würden stationäre Einzelhändler zunehmend in den Online-Vertrieb investieren und zunehmend höhere Online-Umsätze erzielen. Zudem drängen laut Hudetz immer mehr Hersteller in den Online-Handel und starten den Direktvertrieb im Internet. „Da kann von den unzähligen Online-Shops nicht viel übrig bleiben“, warnt er daher erneut. „Denn für die große Masse der Online-Pureplayer bleibt schlicht zu wenig Geschäft übrig.“ Natürlich könnten diese ihr Glück als Powerseller bei eBay oder Händler im Amazon Marketplace versuchen. „Aber viele werden schlichtweg aufgeben“, ist Hudetz überzeugt.

Seine Thesen stützt jedenfalls eine aktuelle Untersuchung des Branchen-Portals iBusiness.de. Die Zukunftsforscher haben in diesen Tagen die aktuellen Umsatzzahlen der Top-1000-Onlineshops in Deutschland vom EHI Retail Institute und die aktuelle Hochrechnung zum Interaktiven Handel in Deutschland vom Bundesverband für E-Commerce und Versandhandel (BEVH) in Relation zueinander gesetzt, um herauszufinden, wohin sich der Online-Handelsmarkt entwickelt (siehe Grafik unten).

iBusiness Analyse
Der Umsatzanteil der Top-10-Shops an den Top-100-Shops liegt 2015 bei 57 Prozent. 2010 machten die Top-10-Shops dagegen erst 45 Prozent aus (Grafik: iBusiness.de)

Das Ergebnis der Analyse lautet auch hier, dass die Konzentration des Online-Handels voranschreitet. Es sind vor allem die großen Shops, die am Branchenwachstum partizipieren. Und das auf Kosten der Kleineren: Auf die Top Ten der deutschen Online-Händler entfallen mittlerweile allein 12,4 Milliarden Euro. Das entspricht gut einem Viertel (26,5 Prozent) am gesamten Online-Handelsumsatz 2015. Dass dieser Anteil langsam, aber stetig wächst, zeigt der Fünf-Jahres-Vergleich: So entfielen 2010 erst 21 Prozent des gesamten Umsatzes im deutschen Internethandel auf die zehn umsatzstärksten Online-Shops. Der Mammutanteil entfällt dabei kontinuierlich über die Jahre auf Amazon.

Denn trotz einem Wachstum der restlichen neun Anbieter in den deutschen Top Ten hält der US-Riese den Umsatzanteil im Spitzensegment des Online-Handels bei 52 Prozent. Damit hat sich laut iBusiness der Amazon-Anteil am Umsatz in den Top Ten seit 2010 fast verdoppelt, wo dieser Wert „gerade mal“ bei 29 Prozent lag. Was bedeutet: Die Konzentration im deutschen ECommerce-Markt verschiebt sich nach oben und vor allem die ganz großen Shops wachsen – in erster Linie Marktprimus Amazon.

Prognose: Für viele Online-Händler wird es tatsächlich eng

Doch wie passt das zusammen mit den Erfahrungen aus dem Markt, wo selbst Online-Händler in kleineren Umsatzregionen nach wie vor stark wachsen? Die Antwort ist einfach. So mögen die Angaben von Plenty Markets zwar stimmen. Die ERP-Software nutzen allerdings nur ein paar tausend Händler hierzulande. Die Zahlen können damit lediglich eine Momentaufnahme darstellen, da es laut einer zweiten Analyse von iBusiness.de rund eine halbe Mio. Online-Shops in Deutschland gibt. Für die Untersuchung wurde unter anderem berücksichtigt, wie viele Unternehmen auf der eigenen Website einen Online-Shop betreiben oder Waren auf Online-Marktplätzen in Deutschland anbieten.

Eine halbe Mio. Shops lassen sich aber nur schwer überblicken. Selbst wenn also immer wieder Online-Pureplayer aufgeben, dürfte man das an vielen Stellen gar nicht mitbekommen. Die iBusiness-Analyse zeigt aber auch so schon jetzt, dass die Gesamtzahl aller Shops etwas gesunken ist – und das sogar zu einem Zeitpunkt, in dem alle Online-Pureplayer sogar noch eine komfortable Ausgangsbasis haben.

So wurden nach einer Marktanalyse vom IFH im vergangenen Jahr rund 46 Mrd. Euro brutto (inkl. MwSt.) hierzulande online umgesetzt. Damit gab es im deutschen Online-Handel auch 2015 ein zweistelliges Wachstum. In den kommenden Jahren könnte das Wachstum aber abflachen. So ist die Sättigungsgrenze bei Büchern, Consumer Electronics und Fashion fast erreicht, weiteres Potenzial für Wachstum sieht das IFH in erster Linie bei „Nachzüglerkategorien“ wie Lebensmitteln (siehe Grafik).

E-Commerce Szenarien
Mögliche Szenarien zum Wachstum im deutschen E-Commerce (Grafik: IFH)

Vor diesem Hintergrund dürfte der Verdrängungswettbewerb für viele Anbieter in den kommenden Jahren also durchaus härter werden. Und nichts anders hat Hudetz mit seiner Prognose ja auch in Aussicht gestellt.

Denn er geht ja davon aus, dass es Online-Händler in der Zukunft immer schwerer haben werden. Über den Zeitrahmen kann man sicher streiten. Denn ob sich der Markt nun bereits in drei Jahren konsolidiert oder vielleicht doch erst in zehn Jahren, lässt sich vorab schwer prognostizieren.

Sicher ist aber in jedem Fall, dass sich die Werte von Plenty Markets und die aktuellen Stimmungsbilder auf die Gegenwart beziehen.

Und die kann ja durchaus für einige Online-Händler derzeit rosig sein, solange der Markt an sich ja nach wie vor wächst. Sobald das aber einmal nicht mehr der Fall sein sollte, dürfte es für viele Online-Händler tatsächlich eng werden – vor allem, wenn Shop-Profil, Sortiment und Service austauschbar sind.

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3 Kommentare

  1. Vielen Dank für die interessante Analyse! Schön, dass mal jemand verschiedene Quellen zusammenführt und sachkundig auswertet.

  2. Vielen Dank, dass Du das Thema aufgegriffen hast. Ja, die Schlussfolgerungen des ECC sind absolut schlüssig, wie ich auch schon früher und an anderer Stelle feststellte.

    Aber die Wahrheit liegt nun mal auf dem Platz. Und da scheint es derzeit (zwei Jahre nach Veröffentlichung der Studie) zwar eine Konsolidierung oder Konzentration, aber eben keine Marktbereinigung in diesen Dimensionen zu geben.

    Und doch die Zahl der plenty-Händler sind aussagekräftig genug. Das ist eine deutlich bessere Datenbasis, als die meisten anderen Branchenstudien vorweisen können. Aber wenigstens ein idealo mit 36.000 Händlern (+18% Händler in 2015), sollte doch ausreichend sein, oder?

    Der Hinweis, die Marktbereinigung könne vielleicht auch erst in zehn Jahren stattfinden, passt in dem Zusammenhang nicht. Schließlich, sollte schon 2020 für 90% Schluss mit lustig sein. So schnell wie sich der E-Commerce-Markt derzeit in vielen Bereichen bewegt, weiß ich nicht wie der Markt in 2020 aussieht. Aber das wird sicherlich nicht passieren.

  3. Sehr interessanter Artikel!!
    Auch wir können (aus der Micro Perspektive) weder aus erster (Kunden) noch zweiter Hand(Agenturen) eine bemerkenswerte Marktbereinigung feststellen. Auch Dietmar Hölscher hat dies (bei Agenturen) vor kurzem im einem Beitrag formuliert. Daher teile ich Peters Aussagen (auch im Kommentar), dass aktuell max. eine minimale Marktbereinigung stattfindet.
    Die ein oder andere Agentur bemerkt kundenseitig allerdings einen minimalen shift zu stationären Händlern.

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